Knochen zu Asche
mich aufs Bett.
»Ist dir klar, dass deine Schwester die unübertroffene Meisterin in der Geschichte des Sammelalbenbastelns ist?«
»Sammelalbenbasteln?«
Gespieltes Erstaunen. »Du hast noch nie von Sammelalbenbasteln gehört?«
Ich schüttelte den Kopf.
»Sammelalbenbasteln ist größer als Scheiblettenkäse. Zumindest in Texas. Und ich bin der Superstar des Genres.«
»Du klebst Zeug in Sammelalben?«
Harry verdrehte die Augen, bis nur noch das Weiße zu sehen war.
»Nicht einfach nur Zeug, Tempe. Erinnerungsstücke. Und man klatscht es nicht nur einfach so hinein. Jede Seite ist eine kunstvoll gestaltete Collage.«
»Das habe ich nicht gewusst.«
»Temperance Daessee Brennan.« Harrys Stimme war von unerreichter Theatralik. »Das ist dein Leben.« Sie öffnete das Sammelalbum. »Aber die frühen Jahre kannst du dir zu einem künftigen Zeitpunkt deiner Wahl betrachten.«
Sie blätterte mehrere Seiten um und legte mir dann ihr Werk auf den Schoß.
Und da waren wir, braun und barfuß, in die Sonne blinzelnd.
Neben den grobkörnigen Schnappschuss hatte Harry »Zehnter Geburtstag« geschrieben.Außer Évangéline und mir prangten auf der Seite noch ein Foto von Grandmas Haus, eine Serviette von einer Fischbude auf Pawleys Island und eine Eintrittskarte für den Gay-Dolphin-Park an der Promenade von Myrtle Beach. Aufkleber mit Abbildungen von Seeigeln und Delphinen vervollständigten die kunstvolle Collage.
»Ich liebe es.« Ich schlang meine Arme um sie. »Ehrlich, ich liebe es.Vielen Dank.«
»Hör auf zu sabbern.« Harry stand auf. »Du brauchst jetzt dringend Schlaf. Auch wenn Ryan ein treuloser Mistkerl ist, ist er immer noch ein Knüller. Morgen früh musst du wie aus dem Ei gepellt aussehen.«
Mein Augenverdreher stempelte Harry zum Amateur.
Bevor ich das Licht ausschaltete, schaute ich mir Évangélines Gesicht lange an. Dunkle Locken. Kräftige, leicht höckerige Nase. Zarte Lippen um eine keck vorgestreckte Zungenspitze.
Ich hatte keine Ahnung, wie bald schon ich dieses Gesicht wiedersehen würde.
21
Ich weiß nicht, was ich erwartet hatte. Aha! Einen Schlag an die Stirn. Eine Offenbarung. Falls ja, enttäuschte ich mich selbst.
Abgesehen von den Indikatoren für eine Krankheit, fand ich an den Knochen des Mädchens nichts, was meine ursprüngliche Altersschätzung geändert hätte, aber auch nichts, was die Möglichkeit, dass sie sechzehn gewesen war, ausgeschlossen hätte. Die Art dieser Skelettpathologie stellte mich noch immer vor ein Rätsel.
Um neun rief ich ein privates DNS-Labor in Virginia an. Schlechte Nachricht: Die Preise waren in die Höhe geschossen, seit ich ihre Dienste das letzte Mal in Anspruch genommen hatte. Gute Nachricht: Ich durfte als Privatperson Proben einreichen.
Nachdem ich mir die erforderlichen Formulare aus dem Internet heruntergeladen und ausgefüllt hatte, packte ich die Sprite-Dose, die Papiertaschentücher, einen Backenzahn und eine Knochenprobe aus dem rechten Oberschenkelknochen des Mädchens ein. Dann machte ich mich auf die Suche nach LaManche.
Die Fingerspitzen unter dem Kinn aneinandergelegt, hörte mein Chef mir zu. Évangéline. Obéline. Detective Tiquet. Die Whalen-Brüder. Jerry O’Driscolls Pfandleihe. Tom Jouns.
LaManche stellte einige Fragen. Ich antwortete. Dann rief er den Coroner an.
Hippo hatte recht. Keine Chance, Temperance.
Nun sagte ich LaManche ganz offen, was ich vorhatte. Widerstrebend gestattete er mir, aus meiner eigenen Tasche für die Tests zu bezahlen.
LaManche informierte mich, dass ich einen neuen Fall hatte. Nichts Dringendes. In der Nähe von Jonquière hatte man Röhrenknochen gefunden.Wahrscheinlich Überreste eines alten Friedhofs.
Dann brachte er mich in der Sache Doucet auf den neuesten Stand. Der Psychiater war zu dem Schluss gekommen, dass Théodore unzurechnungsfähig war. Da weder bei Dorothée noch bei Geneviève eine eindeutige Todesursache festgestellt werden konnte, wurde keine Anklage erhoben.
Ich skizzierte kurz die Altfälle, an denen Hippo und Ryan arbeiteten, und beschrieb meine Beteiligung daran. Die Vermissten, Kelly Sicard, Claudine Cloquet und Anne Girardin. Die Toten von der Rivière des Mille Îles, aus Dorval und vom Lac des Deux Montagnes. Das Telefon klingelte, als ich eben die mögliche Verbindung zu Phoebe Jane Quincy erläuterte.
LaManche hob zur Entschuldigung beide Hände. Was soll man da machen?
Zurück in meinem Labor, bat ich Denis, die DNS-Proben mit Federal Express
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