Knochen zu Asche
Harry, was sie in den letzten beiden Tagen getrieben hatte. Sie erzählte von ihrem Besuch im Oratoire Saint-Joseph und zeigte mir die Ausbeute ihres samstäglichen Einkaufsbummels. Zwei Seidenblusen, ein Bustier und eine wirklich ganz außergewöhnliche rote Lederhose.
Nachdem ich den Tisch abgeräumt hatte, schauten Harry, Birdie und ich uns einen alten Film an. Eine böse Wissenschaftlerin erschuf weibliche Roboter, die so programmiert waren, dass sie alle Männer über vierzig töteten. Normalerweise hätten wir über einen solchen Film herzlich gelacht.An diesem Abend blieben wir eher stumm.
Als wir auf unsere Zimmer gingen, überraschte mich Harry
mit der Ankündigung, dass sie Pläne für den nächsten Tag gemacht habe. Ich konnte sie beschwatzen, wie ich wollte, ich brachte nichts aus ihr heraus.
»Na ja, halt dich von einsamen Gassen fern und achte gut auf das, was um dich herum passiert. Sowohl in der E-Mail wie in dem Anruf wurdest du erwähnt.«
Harry machte nur eine wegwerfende Handbewegung.
Ryan flirtete mit Marcelle, der Rezeptionistin des LSJML, als ich am Montagmorgen aus dem Aufzug stieg. Als sie mich sah, hüpften ihre Augenbrauen bis zum Haaransatz. Das überraschte mich nicht. Mein blauer Fleck auf der Wange hatte inzwischen die Größe von Marokko.
Ryan folgte mir. In meinem Büro fasste er mich am Kinn und drehte mein Gesicht von einer Seite zur anderen. Ich schlug ihm die Hand weg.
»Hat Hippo es dir erzählt?«
»In Technicolor. Kannst du dieses Arschloch identifizieren?«
»Nein.«
»Ist dir an ihm irgendwas aufgefallen?«
»Würde beim Football einen verdammt gutenVerteidiger abgeben. «
Ryan fasste mich an den Schultern, schob mich in meinen Sessel, holte einige Verbrecherfotos hervor und legte sie auf meine Schreibunterlage.
Ganove. Ganove. Cheech. Halbganove. Chong.
»Die Herren Nummer drei und fünf.« Wo Ryan mein Gesicht berührt hatte, brannte die Haut. Ich hielt den Blick gesenkt.
Ryan tippte auf die Ganoven, die ich genannt hatte. »Michael Mulally. Louis-François Babin.«
»Und der Rest des Dream-Teams?« Ich deutete auf Ryans Galerie.
»Bastaraches Schläger.«
»Hast du den Kontaktbogen aus Cormiers Versteck schon gesehen?«
»Ja.« Pause. »Tut mir leid.«
Ich musterte Mulallys Gesicht. Schütteres Haar, das dunkel stoppelige Wangen einrahmte.Verbrecherblick. Babin war kleiner und muskulöser, aber ansonsten ein Klon.
»Die E-Mail. Der Anruf. Das Treppenhaus.« Ryan setzte sich mit einer Hinterbacke auf meinen Schreibtisch. »Wen hast du in Verdacht?«
»Das wäre reine Spekulation.«
»Spekuliere.«
»Ich war in Tracadie und habe mit Bastaraches Frau gesprochen. « Ein Bild blitzte plötzlich vor mir auf. Obélines Gesicht vor dem Pavillon. Ich spürte eine kalte Schwere in meiner Brust. Redete weiter. »Ich schnüffle bei Cormier herum. Zwischen Cormier und Bastarache gibt es eine Verbindung, aber er denkt, ich weiß das nicht. Bastarache mag mein Herumschnüffeln nicht, deshalb pfeift er seinen Hunden, damit die mich vertreiben.«
»Warum?«
»Ich bin guter Treibstoff.«
An Ryans Blick merkte ich, dass er das ganz und gar nicht lustig fand.
»Okay. Sagen wir, Bastarache kann nicht verstehen, warum ich so plötzlich nach Tracadie komme und direkt zu Obéline gehe. Das macht ihm Kopfzerbrechen. Er sagt Cheech und Chong, sie sollen herausfinden, was ich vorhabe. Oder mir Angst einjagen.«
»Cheech und Chong?«
»Mulally und Babin. Hast du mit ihnen gesprochen?«
»Noch nicht. Aber ich kenne ihr Vorstrafenregister. Beeindruckend. «
»Hippo meint, es sei zu früh, um Bastarache zu verhaften.«
»Hippo hat recht. Wir wollen erst loslegen, wenn der Fall wasserdicht ist.«
»Du weißt, wo er ist?«
»Wir sind an ihm dran.«
Ryan schaute auf seine Schuhe. Räusperte sich.
»Nenn mich Ishmael.«
Überrascht von seinem unvermittelten Wechsel ins Spielerische und seiner betulichen Verlegenheit, ortete ich sein Zitat.
»Moby Dick.«
»Worum geht’s in dem Buch?«
»Um einen Kerl, der einen Wal in einem hölzernen Kahn verfolgt.«
»In dem Buch geht’s um Besessenheit.«
»Worauf willst du hinaus?«
»Dass du bei dieser Évangéline-Geschichte wie ein Pitbull reagierst.Vielleicht solltest du ein bisschen lockerlassen.«
Das Lächeln verschwand. »Lockerlassen?«
»Du verhältst dich obsessiv.Wenn die Schwester die Wahrheit gesagt hat, starb das Mädchen vor über dreißig Jahren.«
»Oder wurde ermordet«, blaffte ich. »Darum
Weitere Kostenlose Bücher