Knochenarbeit: 2. Fall mit Tempe Brennan
weitererzählen?« Ihre Augen füllten sich wieder mit Tränen.
»Fahren Sie fort.«
»Eines Tages kamen Heidi und Brian nicht zur Morgenversammlung. Sie waren verschwunden.«
»Wohin?«
»Das weiß ich nicht.«
»Glauben Sie, daß Owens jemanden ausgeschickt hat, um sie zu suchen?«
Ihr Blick wanderte zum Fenster, und sie biß sich auf die Lippe.
»Es geht noch weiter. Eines Nachts im letzten Herbst war Carlie sehr unruhig, also ging ich nach unten, um ihm etwas Milch zu holen. Im Büro hörte ich Geräusche, eine Frau redete, ganz leise, als wollte sie nicht gehört werden. So wie es klang, war sie am Telefon.«
»Haben Sie ihre Stimme erkannt?«
»Ja. Es war eine der Frauen, die im Büro arbeiteten.«
»Was sagte sie?«
»Sie erzählte jemandem, daß es jemand anderem gutgehe. Ich bin nicht lange genug geblieben, um mehr zu hören.«
»Fahren Sie fort.«
»Vor ungefähr drei Wochen ist das gleiche noch einmal passiert, nur habe ich diesmal Leute streiten hören. Sie waren wirklich wütend, aber die Tür war zu, so konnte ich nicht verstehen, was sie sagten. Es waren Dom und diese Frau.«
Sie wischte sich mit dem Handrücken eine Träne von der Wange. Sie sah mich noch immer nicht an.
»Am nächsten Tag war sie verschwunden, und ich habe sie nie mehr wiedergesehen. Sie und noch eine andere Frau. Sie sind einfach verschwunden.«
»Kommt es nicht öfters vor, daß Leute aus der Gruppe kommen und gehen?«
Sie sah mir in die Augen.
»Sie hat im Büro gearbeitet. Ich glaube, sie war diejenige, die diese Anrufe entgegengenommen hat, von denen Sie gesprochen haben.« Ich sah, wie ihr Brustkorb sich hob und senkte; sie kämpfte mit den Tränen. »Sie war Heidis beste Freundin.«
Mein Magen verkrampfte sich. »Hieß sie Jennifer?«
Kathryn nickte.
Ich atmete tief durch. Bleib ganz ruhig, sagte ich mir. Kathryn zuliebe.
»Wer war die andere Frau?«
»Ich weiß nicht so recht. Sie war nicht lange bei uns. Vielleicht war ihr Name Alice. Oder Anna.«
Mein Herz fing an zu rasen. O Gott, nein.
»Wissen Sie, woher Sie kam?«
»Von irgendwo aus dem Norden. Nein, vielleicht aus Europa. Manchmal redete sie mit Jennifer in einer anderen Sprache.«
»Glauben Sie, daß Dom Owens Heidi und ihre Babys töten ließ? Ist das der Grund, warum Sie Angst um Carlie haben?«
»Sie verstehen nicht. Es ist nicht Dom. Er versucht nur, uns zu schützen und uns hinüberzubringen.« Sie sah mich durchdringend an, als wollte sie meine Gedanken lesen. »Dom glaubt nicht an den Antichrist. Er will uns einfach nur aus der Zerstörung herausführen.«
Ihre Stimme stockte, kurze Schluchzer zerrissen die Sätze. Sie stand auf und ging zum Fenster.
»Es sind die anderen. Sie ist es. Dom will, daß wir alle ewig leben.«
»Wer?«
Wie ein gefangenes Tier ging Kathryn in der Küche auf und ab, ihre Hände kneteten den Baumwollstoff ihrer Bluse. Tränen liefen ihr die Wangen hinab.
»Aber nicht jetzt. Es ist zu früh. Es kann noch nicht soweit sein.« Flehend.
»Wozu ist es zu früh?«
»Was, wenn sie sich irren? Was, wenn es nicht genug kosmische Energie gibt? Was, wenn es da draußen gar nichts gibt? Was, wenn Carlie einfach stirbt? Was, wenn mein Baby stirbt?«
Erschöpfung. Angst. Schuldbewußtsein. Diese Mischung gewann die Oberhand, und Kathryn fing an, unkontrolliert zu weinen. Sie stammelte nur noch Zusammenhangloses, und ich wußte, daß ich von ihr nichts mehr erfahren würde.
Ich ging zu ihr und nahm sie in die Arme. »Kathryn, Sie müssen sich ausruhen. Bitte kommen Sie mit und legen Sie sich eine Weile hin. Wir reden dann später weiter.«
Sie gab ein Geräusch von sich, das ich nicht deuten konnte, und ließ sich von mir nach oben ins Gästezimmer bringen. Ich legte ihr Handtücher heraus und ging wieder nach unten, um ihren Rucksack zu holen. Als ich zurückkam, lag sie auf dem Bett, einen Arm über der Stirn, die Augen geschlossen, und Tränen liefen ihr in die Haare an den Schläfen.
Ich legte den Rucksack auf den Toilettentisch und ließ die Jalousien herunter. Als ich die Tür schloß, redete sie leise, die Lippen fast unbewegt, die Augen noch immer geschlossen.
Ihre Worte jagten mir mehr Angst ein als alles, was ich seit langer Zeit gehört hatte.
26
»Ewiges Leben? Waren das ihre genauen Worte?«
»Ja.« Ich hielt den Hörer so fest umklammert, daß die Sehnen in meinem Handgelenk schmerzten.
»Sagen Sie es noch einmal.«
»›Was, wenn sie gehen und uns zurücklassen? Was, wenn Sie Carlie das
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