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Knochenarbeit: 2. Fall mit Tempe Brennan

Knochenarbeit: 2. Fall mit Tempe Brennan

Titel: Knochenarbeit: 2. Fall mit Tempe Brennan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathy Reichs
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nicht mißachtet werden.« Die Stimme kommt von überall und nirgends.
    Die Traumlandschaft verwandelt sich in südliches Tiefland. Lange Sonnenstrahlen sickern durch Louisiana-Moos, und riesige Schatten tanzen zwischen den Bäumen. Es ist heiß, und ich grabe. Ich schwitze, während ich Erde von der Farbe getrockneten Mooses auf die Schaufel lade und auf den Haufen hinter mir werfe.
    Das Schaufelblatt trifft auf etwas, und ich schabe vorsichtig an der Oberfläche entlang, um den Umriß freizulegen. Weißer, mit ziegelrotem Lehm verklumpter Pelz. Ich folge der Krümmung des Rückens. Eine Hand mit langen, roten Nägeln. Ich arbeite mich am Arm entlang. Cowboyfransen. Alles flimmert in der starken Hitze.
    Ich sehe Harrys Gesicht und schreie.
     
    Schweißgebadet und mit pochendem Herzen setzte ich mich auf. Es dauerte einige Sekunden, bis ich wußte, wo ich war.
    Montreal. Schlafzimmer. Eissturm.
    Das Licht brannte noch, und es war still im Zimmer.
    Beruhige dich. Ein Traum ist nur ein Traum. Er spiegelt Ängste und Befürchtungen wider, aber er ist nicht die Wirklichkeit.
    Dann ein anderer Gedanke. Ryans Anruf. Hatte ich ihn verschlafen?
    Ich warf die Decke zurück und ging ins Wohnzimmer. Der Anrufbeantworter blinkte nicht.
    Wieder im Schlafzimmer, zog ich die schweißfeuchten Kleider aus. Als ich die Trainingshose auf den Boden warf, sah ich die Sicheln von Fingerabdrücken in der Haut meiner Handflächen. Ich zog Jeans und einen dicken Pullover an.
    An Schlaf war wohl nicht mehr zu denken. Ich ging in die Küche und setzte Wasser auf, noch immer benommen von dem Traum. Ich wollte ihn nicht zurückholen, aber die Vision hatte in meinem Kopf etwas losgetreten, und ich mußte mir darüber klarwerden, was. Ich ging mit meinem Tee zum Sofa.
    Meine Träume sind normalerweise nicht übermäßig phantastisch oder furchterregend oder grotesk. Eigentlich träume ich nur auf zwei Arten.
    Am häufigsten kann ich eine Telefonnummer nicht wählen, die Straße nicht erkennen, ein Flugzeug nicht erreichen. Ich muß eine Prüfung schreiben, habe aber den Kurs nie besucht. Die Botschaft ist ganz einfach: Angst.
    In selteneren Fällen ist die Botschaft verwirrender. Mein Unterbewußtes sichtet Informationen, die mein Bewußtsein angehäuft hat, und verwebt sie zu surrealen Tableaus. Mir bleibt es dann überlassen zu interpretieren, was meine Psyche mir sagen will.
    Der eben erlebte Alptraum gehörte eindeutig zur kryptischen Variante. Ich schloß meine Augen, um herauszufinden, was ich dechiffrieren konnte. Bilder blitzten auf, wie flüchtige Blicke durch einen Staketenzaun.
    Amalie Provenchers Computergesicht.
    Die toten Babys.
    Eine geflügelte Daisy Jeannotte. Mir fiel wieder ein, was ich zu Ryan gesagt hatte. War sie wirklich ein Engel des Todes?
    Die Kirche. Sie ähnelte dem Konvent in Memphrémagog. Warum zeigte nur mein Hirn gerade diesen Ort?
    Élisabeth Nicolet.
    Harry, die mich um Hilfe anfleht, dann in einem dunklen Tunnel verschwindet. Harry, tot mit Birdie. War Harry in ernsthafter Gefahr?
    Eine unwillige Braut. Was zum Teufel bedeutet das? Wurde Élisabeth gegen ihren Willen festgehalten? War das Teil ihrer heiligen Wahrheit?
    Ich hatte keine Zeit, weiter darüber nachzudenken, denn in diesem Augenblick ging die Türglocke. Freund oder Feind? fragte ich mich, während ich zum Sicherheitskasten stolperte und den Hörer abnahm.
    Ryans große, schlanke Gestalt füllte den Bildschirm. Ich ließ ihn ein und sah durch den Türspion zu, wie er den Korridor entlangkam. Er sah aus, als hätte er tausend Kilometer hinter sich.
    »Sie sehen erschöpft aus.«
    »Es war ein langer Tag, und wir schieben immer noch Überstunden. Dank des Sturms bin ich allein.«
    Ryan klopfte sich die Stiefel ab und zog den Reißverschluß seines Parkas auf. Eis rieselte zu Boden, als er seine Wollmütze vom Kopf zog. Er fragte mich nicht, warum ich um vier Uhr morgens angezogen war, und ich fragte ihn nicht, warum er um diese Uhrzeit zu mir kam.
    »Baker hat Kathryn gefunden. Sie hat es sich in letzter Minute anders überlegt und ist aus Owens’ Gruppe ausgestiegen.«
    »Und das Baby?« Mein Herz raste.
    »Es ist auch dort.«
    »Wo?«
    »Haben Sie Kaffee?«
    »Ja, klar.«
    Ryan warf seine Mütze auf den Tisch in der Diele und folgte mir in die Küche. Während ich Bohnen mahlte und Wasser abmaß, berichtete er.
    »Sie hat sich bei einem Kerl namens Espinoza versteckt. Erinnern Sie sich noch an die Nachbarin, die wegen Owens das Sozialamt gerufen

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