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Knochenarbeit: 2. Fall mit Tempe Brennan

Knochenarbeit: 2. Fall mit Tempe Brennan

Titel: Knochenarbeit: 2. Fall mit Tempe Brennan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathy Reichs
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Viele Straßen waren gesperrt, und den Autofahrern wurde empfohlen, zu Hause zu bleiben.
    Ich schaltete das Radio aus und wünschte mir sehnsüchtig, ich wäre zu Hause. Zusammen mit meiner Schwester. Bei dem Gedanken an Harry fing es hinter meinem linken Auge an zu pochen.
    Vergiß den Kopfschmerz und denk nach, Brennan. Wenn du abgelenkt bist, bist du nutzlos.
    Die Goyettes lebten in einer Gegend, die man als das Plateau kannte, wir fuhren deshalb erst nach Norden, dann auf der Avenue des Pins nach Osten. Vor mir auf der Hügelkuppe sah ich die Lichter des Royal Victoria Hospital. Unter uns lag McGill als schwarzes Relief, dahinter die City und der Uferbezirk, von dem nur die Place Ville Marie sichtbar war.
    Ryan bog nach Norden in die St. Denis ab. Die Straße, auf der es sonst vor Einkaufsbummlern und Touristen wimmelte, gehörte allein dem Eis und dem Wind. Eine milchige Kristallschicht bedeckte alles und machte die Namen von Boutiquen und Bistros unleserlich. Ein einziges Café hatte geöffnet, und durch das vereiste Fenster konnte ich Kerzen und unförmige Menschengestalten erkennen.
    An der Mont Royal fuhren wir wieder nach Osten, bogen dann an der Christophe Colomb nach Süden ab und hielten ein Jahrzehnt später vor der Adresse, die Anna mir gegeben hatte. Das Haus war ein typisches Montrealer Dreietagengebäude, mit Erkerfenstern auf der Vorderseite und einer schmalen Metalltreppe in den ersten Stock. Ryan steuerte den Jeep an den Bordstein und stellte ihn dort ab.
    Beim Aussteigen brannte mir das Eis auf den Wangen wie Glut und trieb mir die Tränen in die Augen. Mit gesenkten Köpfen, auf den vereisten Stufen immer wieder ausgleitend, stiegen wir zur Wohnung der Goyettes hoch. Da die Klingel dick in graues Eis verpackt war, hämmerte ich gegen die Tür. Einen Augenblick später bewegte sich der Vorgang, und Annas Gesicht tauchte auf. Durch die Milchglasscheibe sah ich, daß sie den Kopf schüttelte.
    »Machen Sie auf, Anna!« rief ich.
    Das Kopfschütteln wurde stärker, aber ich war nicht in Stimmung für langwierige Verhandlungen.
    »M ACHEN S IE DIE GOTTVERDAMMTE T ÜR AUF !«
    Sie erstarrte und riß die Hand zum Ohr. Dann trat sie zurück, und fast glaubte ich, daß sie verschwinden würde. Aber plötzlich hörte ich das Geräusch eines Schlüssels, und die Tür ging einen Spalt auf.
    Ich fackelte nicht lange. Ich warf mich gegen die Tür, und Ryan und ich waren drinnen, bevor sie reagieren konnte.
    Anna wich zurück und stand mit verschränkten Armen, die Finger in die Ärmel ihrer Jacke verkrampft, da. Eine Öllampe flackerte auf einem kleinen Holztisch und schickte lange, zuckende Schatten die Wände des schmalen Korridors hoch.
    »Warum können Sie mich nicht einfach in Ruhe lassen?« In dem unsteten Licht wirkten ihre Augen riesig.
    »Ich brauche Ihre Hilfe, Anna.«
    »Ich kann es nicht tun.«
    »Doch, das können Sie.«
    »Ich habe ihr dasselbe gesagt. Ich kann es nicht tun. Sie werden mich finden.« Ihre Stimme zitterte, und ich sah echte Angst in ihrem Gesicht. Ihr Blick traf mich wie ein Pfeil ins Herz. Ich hatte ihn schon einmal gesehen. Eine Freundin, die eine Heidenangst hatte, weil sie meinte, daß ein Fremder ihr auflauerte. Ich hatte ihr eingeredet, daß die Gefahr nicht real sei, und sie war deswegen ums Leben gekommen.
    »Wem gesagt?«
    »Dr. Jeannotte.«
    »Sie war hier?«
    Ein Nicken.
    »Wann?«
    »Vor ein paar Stunden. Ich hatte schon geschlafen.«
    »Was wollte sie?«
    Annas Blick schnellte zu Ryan, dann senkte sie den Kopf. »Sie hat mir komische Fragen gestellt. Ich glaube, sie wollte aufs Land, auf die Farm, wo ich diesen Workshop gemacht habe. Ich – sie hat mich geschlagen. Ich bin noch nie von einem Menschen so geschlagen worden. Sie war wie eine Verrückte. Ich hatte sie noch nie so gesehen.«
    Ich hörte Angst und Scham in ihrer Stimme, als wäre sie irgendwie selbst schuld an dieser Attacke. Sie sah so klein aus, wie sie da im Dämmerlicht stand, daß ich zu ihr ging und sie in die Arme nahm.
    »Sie haben sich nichts vorzuwerfen, Anna.«
    Ihre Schultern bebten, und ich strich ihr über die Haare. Es schimmerte in dem flackernden Lampenlicht.
    »Ich hätte ihr ja gern weitergeholfen, aber ehrlich gesagt, ich erinnere mich nicht mehr. Ich – mir ging es damals ziemlich schlecht.«
    »Ich weiß, aber ich will, daß Sie sich in diese Zeit zurückversetzen und scharf nachdenken. Versuchen Sie, sich alles wieder ins Gedächtnis zu rufen.«
    »Ich habe es probiert. Aber es

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