Knochenarbeit: 2. Fall mit Tempe Brennan
per Expreßpost eintreffen, dann begannen die Ferien, und die meisten Studenten waren auf dem Weg ans Meer.
Ich schaltete das Licht aus und sah den Flammen zu, die zuckend an den Scheiten leckten. Schatten tanzten durchs Zimmer. Ich roch Fichtenduft und hörte die Feuchtigkeit im Holz zischen und verdampfen. Das war der Grund für die Faszination des Feuers: Es sprach alle Sinne an.
Ich dachte zurück an die Weihnachtsabende und Ferienlager meiner Kindheit. Ein zweischneidiges Schwert, das Feuer. Es konnte trösten und zärtliche Erinnerungen wachrufen. Es konnte aber auch töten. Doch ich wollte an diesem Abend nicht mehr an St. Jovite denken.
Schnee sammelte sich auf dem Fensterbrett. Meine Studenten planten inzwischen wahrscheinlich ihren ersten Tag am Strand. Während ich gegen Frostbeulen ankämpfte, schützten sie sich vor Sonnenbrand. Auch darüber wollte ich nicht nachdenken.
Plötzlich fiel mir wieder Élisabeth Nicolet ein. Sie hatte offenbar in Klausur gelebt. »Femme contemplative« stand auf der Namenstafel. Aber diese Kontemplation lag nun auch schon mehr als ein Jahrhundert zurück. Was, wenn wir den falschen Sarg ausgegraben hatten? Das war auch etwas, worüber ich nicht nachdenken wollte. Zumindest an diesem Abend hatten Élisabeth und ich wenig gemeinsam.
Ich sah auf die Uhr. Halb zehn. Katy anrufen? In ihrem zweiten Jahr am College hatte man sie zu einer der »Schönheiten Virginias« gewählt, und obwohl sie in ihrem Doppelstudium Englisch und Psychologie immer gute Noten hatte, war sie, was Freizeitaktivitäten anging, durchaus keine Kostverächterin. An einem Freitagabend wie heute war sie bestimmt nicht zu Hause. Aber optimistisch, wie ich nun einmal bin, holte ich mir das Telefon an den Kamin und wählte Charlottesville.
Katy antwortete nach dem dritten Läuten.
Da ich ihren Anrufbeantworter erwartet hatte, stammelte ich etwas Unverständliches.
»Mom? Bist du das?«
»Ja. Hallo. Was tust du denn zu Hause?«
»Ich habe einen Pickel auf der Nase, groß wie ein Hamster. Ich bin zu häßlich zum Ausgehen. Was tust du denn zu Hause?«
»Häßlich kannst du gar nicht sein. Kein Kommentar zum Pickel.« Ich lehnte mich in ein Kissen und streckte die Füße zum Feuer. »Ich habe zwei Tage lang Tote ausgegraben und bin zu müde zum Ausgehen.«
»Da frag ich lieber nicht nach.« Ich hörte Zellophan rascheln. »Dieser Pickel ist echt übel.«
»Der geht auch wieder weg. Wie geht’s Cyrano?« Katy hat zwei Katzen, Templeton und Cyrano de Bergerac.
»Inzwischen wieder besser. Ich habe mir in der Tierhandlung eine Medizin besorgt und sie ihm mit einer Pipette eingeträufelt. Jetzt niest er fast gar nicht mehr.«
»Gut. Er war schon immer mein Liebling.«
»Ich glaube, Templeton weiß das.«
»Dann werde ich versuchen, das nächste Mal taktvoller zu sein. Was gibt’s sonst Neues?«
»Nicht viel. Ich war mit einem Typ namens Aubrey aus. Er war ziemlich cool. Hat mir am nächsten Tag Rosen geschickt. Und morgen fahre ich mit Lynwood zum Picknick. Lynwood Deacon. Er studiert Jura im ersten Jahr.«
»Suchst du sie dir danach aus?«
»Was?«
»Nach den Namen.«
Sie ignorierte das. »Tante Harry hat übrigens angerufen.«
»Oh?« Beim Namen meiner Schwester bekam ich immer ein komisches Gefühl, wie bei einem Eimer voller Nägel, der zu nahe an einer Kante steht.
»Sie scheint ihr Ballongeschäft verkaufen zu wollen. Eigentlich hat sie angerufen, weil sie wissen wollte, wo du steckst. Klang irgendwie ein bißchen durchgedreht.«
»Durchgedreht?« Schon an normalen Tagen klang meine Schwester ein bißchen durchgedreht.
»Ich habe ihr gesagt, daß du in Quebec bist. Sie wird wahrscheinlich morgen anrufen.«
»Okay.« Genau das, was ich brauchte.
»Übrigens. Dad hat sich einen Mazda RX7 gekauft. Ein tolles Ding. Aber er läßt mich nicht dran.«
»Ja, ich weiß.« Mein Mann, von dem ich getrennt lebte, machte gerade eine leichte Midlife-crisis durch.
Ein kurzes Zögern am anderen Ende. »Eigentlich wollten wir gerade zum Pizzaessen gehen.«
»Und was ist mit dem Pickel?«
»Ich male mir Ohren und einen Schwanz dran und sage, es ist ein Tattoo.«
»Könnte funktionieren. Wenn man dich erwischt, gib einen falschen Namen an.«
»Ich liebe dich, Mom.«
»Ich dich auch. Bis dann.«
Ich aß die restlichen Turtles und putzte mir die Zähne. Zweimal. Dann fiel ich ins Bett und schlief elf Stunden.
Das Wochenende verbrachte ich mit Auspacken, Putzen, Einkaufen und Korrigieren. Am
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