Knochenarbeit: 2. Fall mit Tempe Brennan
Sonntag nachmittag rief meine Schwester an und sagte, daß sie ihren Heißluftballon verkauft habe. Ich war erleichtert. Drei Jahre lang hatte ich mit allen möglichen Ausflüchten versucht, Katy am Boden zu halten, jetzt konnte ich diese Energie für etwas anderes verwenden.
»Bist du zu Hause?« fragte ich.
»Ja.«
»Ist es warm?« Ich schaute zu der Schneeverwehung auf dem Fensterbrett. Sie wuchs immer noch.
»In Houston ist es immer warm.«
Dumme Kuh.
»Und warum verkaufst du dein Geschäft?«
Harry war schon immer eine Suchende gewesen, wenn auch mit wechselnden Vorstellungen vom Heiligen Gral. Vor drei Jahren hatte sie sich das Ballonfahren in den Kopf gesetzt. Wenn sie keine Luftsafaris über Texas veranstaltete, beluden sie und ihre Crew einen alten Pick-up und fuhren kreuz und quer durchs Land zu Ballonrallyes.
»Ich trenne mich von Striker.«
»Oh.«
Auch Striker hatte sie sich in den Kopf gesetzt. Sie hatten sich bei einer Rallye in Albuquerque kennengelernt und drei Tage später geheiratet. Das war vor zwei Jahren gewesen.
Lange sagte keiner etwas. Schließlich brach ich das Schweigen.
»Und jetzt?« fragte ich.
»Vielleicht mache ich was Therapeutisches.«
Das überraschte mich. Meine Schwester tat nur selten das Naheliegende.
»Vielleicht hilft’s dir, drüber wegzukommen.«
»Nein, nein. Striker hat nur Seifenblasen im Hirn. Ich weine ihm nicht nach. Krieg ich nur Tränensäcke davon.« Ich hörte, wie sie sich eine Zigarette anzündete, einen tiefen Zug nahm, ausatmete. »Ich habe da von so einem Kurs gehört. Wenn man den gemacht hat, kann man Berater werden für ganzheitliche Lebensweise und Streßbewältigung und so. Ich habe schon Bücher gelesen über Kräuter und Meditation und Metaphysik, und das ist alles ziemlich cool. Ich glaube, ich könnte das gut.«
»Harry. Das klingt ein bißchen nach Hirngespinst.« Wie oft hatte ich das schon gesagt.
»Ach was. Natürlich schau ich mir das erst mal genau an. Ich bin doch nicht blöd.«
Nein. Blöd war sie nicht. Aber wenn Harry etwas will, dann will sie es mit aller Macht. Dann kann sie nichts mehr davon abbringen.
Als ich auflegte, war ich ein wenig verunsichert. Der Gedanke, daß Harry Leuten mit Problemen Ratschläge gab, war beunruhigend.
Gegen sechs machte ich mir ein Abendessen aus gebratener Hühnerbrust, roten Pellkartoffeln mit Butter und Schnittlauch und gedämpftem Spargel. Ein Glas Chardonnay hätte das Mahl abgerundet. Aber nicht für mich. Dieser Schalter stand seit sieben Jahren auf Aus, und dort sollte er auch bleiben. Ich bin doch nicht blöd. Zumindest nicht, wenn ich nüchtern bin. Das Essen war auch so noch Klassen besser als die Cracker vom Abend zuvor.
Beim Essen dachte ich über meine kleine Schwester nach. Harry und eine formale Ausbildung waren noch nie kompatibel gewesen.
Sie hatte ihren High-School-Liebsten drei Tage vor der Abschlußprüfung geheiratet, und danach noch drei andere. Sie hatte Bernhardiner gezüchtet, eine Filiale von Pizza Hut gemanagt, Designer-Sonnenbrillen verkauft, Reisegruppen durch Yucatan geführt, PR für die Houston Astros gemacht, eine Teppichreinigungsfirma eröffnet und wieder verloren, Immobilien verkauft und in letzter Zeit Fahrten in ihrem Heißluftballon veranstaltet.
Als ich drei und Harry eins war, hatte ich sie mit einem Dreirad überrollt und ihr das Bein gebrochen. Doch das konnte sie nicht bremsen. Gehen lernte sie mit einem Gipsfuß. Was sie so unerträglich und gleichzeitig so liebenswürdig machte, war die Tatsache, daß sie ihren Mangel an Ausbildung und Konzentration mit reiner Energie wettmachte. Ich empfinde sie als äußerst anstrengend.
Um halb zehn schaltete ich das Eishockeyspiel ein. Es war das Ende des zweiten Drittels und die Habs lagen gegen St. Louis null zu vier hinten. Don Cherry schwadronierte über die Unfähigkeit des kanadischen Managements. Mit seinem aufgedunsenen, roten Gesicht über dem Stehkragen wirkte er eher wie ein Tenor beim Friseur als wie ein Sportkommentator. Wenn man ihn so sah, wunderte man sich, daß Millionen ihm jede Woche zuhörten. Um Viertel nach zehn schaltete ich den Fernseher aus und ging ins Bett.
Am nächsten Morgen stand ich früh auf und fuhr ins Labor. Montag ist für die meisten Leichenbeschauer ein hektischer Tag. Die willkürlichen Akte der Brutalität, der sinnlose Wagemut, der einsame Selbstüberdruß und das fatal schlechte Timing, die in einem gewaltsamen Tod enden, nehmen übers Wochenende immer
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