Knochenarbeit: 2. Fall mit Tempe Brennan
hier rumrennt, meine Insel zertrampelt, meinen Arbeitsplan durcheinanderbringt und höchstwahrscheinlich auch meine Affen infiziert. Das kommt gar nicht in Frage. Und es wird auch nicht passieren. Ich bin verdammt noch mal der Bürgermeister, und das hier ist meine Insel. Lieber setze ich mich mit ‘ner Schrotflinte an den Pier, bevor ich das zulasse.«
Auf seiner Stirn pochte wieder die Ader, und die Sehnen in seinem Hals traten vor wie Spanndrähte. Er stocherte mit dem Zeigefinger in die Luft, um seinen Worten Nachdruck zu verleihen.
»Das war eine oscarreife Vorstellung, Sam, aber ich tu’s trotzdem nicht. Dan Jaffer ist an der USC in Columbia. Er ist der zuständige Anthropologe für South Carolina, und ihn wird der Leichenbeschauer wahrscheinlich rufen. Dan hat die amtliche Zulassung, und er ist sehr gut.«
»Dein blöder Dan Jaffer könnte verdammt noch mal TB haben.«
Ich erwiderte nichts, weil es mir sinnlos erschien.
»Du machst so was doch die ganze Zeit. Du könntest die Leiche ausgraben und dann alles diesem Jaffer übergeben.«
Sinnlos »Warum denn nicht, Tempe?« Er starrte mich an.
»Du weißt, daß ich wegen eines anderen Falles in Beaufort bin. Ich habe diesen Jungs versprochen, daß ich ihnen helfe, und ich muß am Mittwoch wieder in Charlotte sein.«
Der wahre Grund für meine Ablehnung war jedoch ein anderer. Ich war nicht bereit, mein Inselparadies zu entweihen, indem ich meinen Arbeitsalltag und mit ihm die ganze Häßlichkeit des Todes hierherbrachte. Seit ich den Kieferknochen zum ersten Mal gesehen hatte, gingen mir Bilderfetzen durch den Kopf, splitterhafte Erinnerungen an frühere Fälle. Erdrosselte Frauen, abgeschlachtete Babys, junge Männer mit durchschnittenen Kehlen und stumpfen, blicklosen Augen. Wenn die Gewalt auch vor dieser Insel nicht haltmachte, wollte ich jedenfalls nichts damit zu tun haben.
»Wir reden im Lager drüber«, sagte Sam. »Aber sag keinem was von Leichen.«
Ohne auf seine diktatorische Art einzugehen, band ich mein Halstuch an die Stechpalme. Dann machten wir uns auf den Rückweg.
Als wir den Pfad erreichten, sah ich an der Stelle, wo wir in den Wald abgebogen waren, einen zerbeulten Pick-up stehen. Der Transporter war beladen mit Affenfutter, ein Anhänger mit einem 1000-Liter-Wassertank war hinten angekuppelt. Joey inspizierte eben den Tank.
Sam rief ihn.
»Wart mal.«
Joey wischte sich mit dem Handrücken über den Mund und verschränkte dann die Arme. Er trug Jeans und ein Sweatshirt ohne Ärmel und Kragen. Seine fettigen blonden Haare hingen ihm wie Linguine ins Gesicht. Die Augen hinter einer Sonnenbrille verborgen, den Mund zu einem schmalen Strich zusammengekniffen, erwartete er uns. Sein Körper wirkte angespannt, verkrampft.
»Ich will nicht, daß irgend jemand in die Nähe des Tümpels geht«, sagte Sam zu Joey.
»Hat Alice sich wieder einen Affen geschnappt?«
»Nein.« Sam ging nicht näher darauf ein. »Wohin soll das Futter?«
»Station sieben.«
»Laß es und fahr sofort zurück.«
»Was ist mit dem Wasser?«
»Mach die Tanks voll und komm dann ins Lager. Wenn du Jane siehst, schick sie zurück.«
Joeys Brille wanderte zu meinem Gesicht, und er schien mich lange zu mustern. Dann stieg er in den Pick-up und fuhr davon, den klappernden Anhänger im Schlepptau.
Sam und ich gingen schweigend weiter. Mir graute vor der Szene, die sich in Kürze abspielen würde, und ich beschloß, mich nicht von ihm herumkommandieren zu lassen. Ich erinnerte mich an seine Worte, sah sein Gesicht, als er das Grab entdeckt hatte. Dann fiel mir noch etwas anderes ein. Kurz bevor Sam zu mir gekommen war, hatte ich geglaubt, einen Motor zu hören. War das der Pick-up gewesen? Ich fragte mich, wie lange Joey schon auf dem Pfad gestanden hatte. Und warum gerade dort?
»Wann hat Joey angefangen, für dich zu arbeiten?« fragte ich.
»Joey?« Er überlegte einen Augenblick. »Vor knapp zwei Jahren.«
»Ist er verläßlich?«
»Sagen wir einfach, Joeys Mitgefühl ist stärker als sein gesunder Menschenverstand. Er ist einer der Typen mit blutendem Herzen, redet dauernd von Tierrechten und darüber, daß die Affen nicht gestört werden dürfen. Er hat zwar keinen blassen Schimmer von Tieren, aber er ist ein guter Arbeiter.«
Als wir ins Lager zurückkehrten, fand ich eine Nachricht von Katy. Sie war an den Pier gegangen, um zu lesen. Während Sam sein Funktelefon hervorholte, ging ich zum Wasser. Meine Tochter saß in einem Boot, die Schuhe
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