Knochenarbeit: 2. Fall mit Tempe Brennan
ausgezogen, die Beine ausgestreckt, Ärmel und Hosenbeine so weit hochgekrempelt, wie es nur ging. Ich winkte, und sie winkte zurück und deutete fragend auf das Boot. Ich schüttelte den Kopf und hob beide Hände, um ihr anzudeuten, daß es noch nicht Zeit für die Rückfahrt sei. Sie lächelte und wandte sich wieder ihrem Buch zu.
Als ich zum Stützpunkt zurückkehrte, saß Sam am Küchentisch und telefonierte. Ich setzte mich ihm gegenüber auf die Bank.
»Wann kommt er zurück?« fragte er eben in die Sprechmuschel. Ich hatte ihn schon lange nicht mehr so aufgeregt gesehen.
Eine Pause. Immer wieder klopfte er mit einem Bleistift, den er durch seine Finger wandern ließ, auf den Tisch.
»Ivy Lee, ich muß jetzt sofort mit ihm sprechen. Können Sie ihn nicht irgendwie erreichen?«
Noch eine Pause. Tap. Tap. Tap.
»Nein, ein Deputy reicht mir nicht. Ich brauche Sheriff Baker.«
Eine lange Pause. Tap. Ta–. Die Mine brach, und Sam warf den Stift in einen Mülleimer am anderen Ende der Küche.
»Ist mir egal, was er gesagt hat, versuchen Sie es weiter. Sagen Sie ihm, er soll mich hier auf der Insel anrufen. Ich warte darauf.«
Er knallte den Hörer auf die Gabel.
»Wie können der Sheriff und der Leichenbeschauer gleichzeitig nicht erreichbar sein?« Er fuhr sich mit beiden Händen durch die Haare.
Ich drehte mich auf meiner Bank zur Seite, legte die Beine auf die Sitzfläche und lehnte mich an die Wand. Im Lauf der Jahre hatte ich gelernt, daß es am sinnvollsten war, Sams Temperamentsausbrüche einfach zu ignorieren. Sie lodern auf und verlöschen wieder wie Strohfeuer.
Er sprang auf und tigerte wütend in der Küche auf und ab. »Wo zum Teufel ist Harley?«
Er sah auf die Uhr. »Zehn nach vier. Klasse. In zwanzig Minuten sind sie alle da, weil sie zurück in die Stadt wollen. Verdammt, eigentlich sollten sie an einem Samstag überhaupt nicht hier sein. Wir wollten heute nur schlechtes Wetter hereinarbeiten.«
Er kickte ein Stück Kreide quer durch die Küche.
»Ich kann sie nicht zwingen hierzubleiben. Oder sollte ich es vielleicht? Vielleicht sollte ich ihnen von der Leiche erzählen, sagen: ›Niemand verläßt die Insel‹, und dann mit jedem Verdächtigen einzeln ins Hinterzimmer gehen und ihn verhören, wie dieser blöde Hercule Poirot!«
Und wieder ging er auf und ab. Sah auf die Uhr. Ging auf und ab. Schließlich ließ er sich auf die Bank mir gegenüber fallen und stützte die Stirn auf die Fäuste.
»Ist dein Koller jetzt vorbei?«
Keine Antwort.
»Darf ich einen Vorschlag machen?«
Er sah nicht einmal hoch.
»Ich mache ihn trotzdem. Die Leiche ist auf der Insel, weil jemand nicht will, daß sie gefunden wird. Offensichtlich hat derjenige nicht mit J-7 gerechnet.«
Ich sprach zu seinem Schädeldach.
»Ich sehe verschiedene Möglichkeiten. Erstens. Sie wurde von einem deiner Angestellten hierhergebracht. Zweitens. Ein Außenstehender hat sie mit einem Boot hergeschafft, vermutlich einer aus der Gegend, der deinen Tagesablauf kennt. Wenn die Belegschaft geht, ist die Insel unbewacht, oder?«
Er nickte, ohne den Kopf zu heben.
»Drittens. Es könnte einer der Drogenschmuggler sein, die diese Gegend hier unsicher machen.«
Keine Antwort.
»Sag mal, du bist doch Wildhüter, oder?«
Er hob den Kopf. Auf seiner Stirn glitzerte der Schweiß.
»Wenn du den Leichenbeschauer oder Sheriff Baker nicht erreichen kannst, dann ruf deine Wildhüterkollegen. Die sind doch zuständig für den Küstenbereich, nicht? Sie zu rufen erregt keinen Verdacht, und sie können jemanden herschicken, der die Fundstelle abriegelt, bis du mit dem Sheriff gesprochen hast.«
Er schlug auf den Tisch. »Kim.«
»Egal, wer es ist. Du mußt sie nur bitten, sich bedeckt zu halten, bis du mit Baker geredet hast. Ich habe dir ja schon gesagt, was er tun wird.«
»Kim Waggoner arbeitet für die Naturschutzbehörde von South Carolina. Sie hat mir früher schon mal geholfen, als wir hier draußen Probleme mit Kriminellen hatten. Kim kann ich vertrauen.«
»Bleibt sie auch über Nacht?« Ich bin zwar keine ängstliche Frau, trotzdem hätte ich keine Lust, mich mit Mördern oder Drogendealern herumschlagen zu müssen.
»Kein Problem.« Er wählte bereits. »Kim ist eine Ex-Marine.«
»Sie wird mit Eindringlingen fertig?«
»Sie ißt Nägel zum Frühstück.«
Jemand meldete sich, und er fragte nach Officer Waggoner.
»Warte, bis du sie siehst«, sagte er, die Hand über der Sprechmuschel.
Als die Belegschaft
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