Knochenarbeit: 2. Fall mit Tempe Brennan
das Glas.
»Es glänzt. Wenn die Sonne drauffällt, sieht es aus wie Gold.«
In diesem Augenblick machte GN-9 einen Satz und drohte seinem Gegenüber mit weitaufgerissenem Maul. J-7 kreischte auf, sprang vom Dach in die Bäume und hangelte sich von Ast zu Ast, bis er hinter dem Wohnwagen verschwunden war. Sein Schatz kullerte vom Dach und landete in der Regenrinne.
»Dann wollen wir mal nachschauen!«
Sam zog eine Leiter unter dem Stützpunkt hervor und lehnte sie gegen den Wohnwagen. Er wischte einige Spinnweben weg, prüfte die erste Sprosse mit seinem Gewicht und stieg dann hinauf.
»Was zum Teufel…«
»Was ist?«
»Dieser Hurensohn.«
»Was ist es denn?«
Er drehte etwas in seiner Hand.
»Das ist doch…«
»Was ist es denn?« Ich versuchte zu sehen, was der Affe fallen gelassen hatte, aber Sam verdeckte mir die Sicht.
Mit gesenktem Kopf stand er bewegungslos auf der Leiter.
»Sam, was ist es?«
Er stieg wortlos von der Leiter und hielt mir den Gegenstand hin. Ich sah sofort, was es war und was es bedeutete, und ich spürte, wie der Tag sich verdüsterte.
Ich suchte Sams Augen, und wir starrten uns wortlos an.
16
Mit dem Ding in der Hand stand ich da und wollte einfach nicht glauben, was ich sah.
Sam sprach als erster.
»Das ist ein menschlicher Kieferknochen.«
»Ja.« Ich sah Blätterschatten über sein Gesicht huschen.
»Vermutlich aus einer alten indianischen Begräbnisstätte.«
»Bei den Kronen wohl kaum.« Ich drehte den Unterkiefer, und Gold funkelte im Sonnenlicht.
»Die haben wahrscheinlich J-7 neugierig gemacht«, sagte er und starrte die Kronen an.
»Und das da ist Fleisch«, ergänzte ich und zeigte auf einen braunen Klumpen am Gelenk.
»Was heißt das?«
Ich hob den Kiefer und schnupperte daran. Er hatte den dumpfen, farblosen Geruch des Todes.
»Bei dem Klima hier und abhängig davon, ob die Leiche vergraben war oder über der Erde lag, würde ich sagen, das Opfer ist weniger als ein Jahr tot.«
»Verdammt noch mal, wie gibt’s denn so was?« An seiner Schläfe pochte eine Ader.
»Schrei mich nicht an. Anscheinend gibt’s doch Leute, die ohne deine Genehmigung auf die Insel kommen.«
Ich wandte den Blick ab.
»Wo hat er den bloß her?«
»Es ist dein Affe, Sam. Das mußt du herausfinden.«
»Da kannst du Gift drauf nehmen.«
Er ging zum Stützpunkt, sprang, zwei Stufen auf einmal nehmend, die Treppe hoch und verschwand im Haus. Durch das offene Fenster hörte ich ihn nach Jane rufen.
Einen Augenblick lang stand ich nur da, hörte das Rascheln von Palmzweigen. All das kam mir völlig irreal vor. War wirklich der Tod in meine Insel des Friedens eingedrungen.
Nein! schrie eine Stimme in meinem Kopf. Nicht hier!
Ich hörte das Ächzen einer Feder, die Fliegengittertür sprang auf. Sam kam mit Jane heraus und rief nach mir.
»Komm, Quincy. Schnappen wir uns die üblichen Verdächtigen. Jane weiß, wo die O-Gruppe hingeht, wenn sie nicht im Lager ist, wir dürften J-7 deshalb anhand seines Kragens aufspüren können. Vielleicht verrät uns der kleine Scheißer ja was.«
Ich rührte mich nicht.
»Verdammt, tut mir leid. Ich hab’s einfach nicht gerne, wenn auf meiner Insel Leichenteile auftauchen. Du kennst doch mein Temperament.«
Das kannte ich wirklich. Aber es war nicht Sams Ausbruch, der mich zögern ließ. Ich wußte, was da draußen lag, und ich wollte es nicht finden. In letzter Zeit hatte ich zu viele Leichenteile gesehen.
»Na komm.«
Ich atmete tief durch, aber mein Enthusiasmus war der einer Frau, die von ihrem Onkologen zu einem Termin bestellt wird.
»Warte.«
Ich suchte in der Küche des Stützpunkts nach einer Plastikdose.
Dann legte ich den Knochen hinein, verschloß den Behälter, versteckte ihn in einem Schrank im hinteren Zimmer und schrieb Katy einen Zettel.
Auf dem Pfad, der hinter dem Stützpunkt wegführte, folgten wir Jane ins Zentrum der Insel. Sie geleitete uns in eine Gegend, wo die Bäume hoch wie Bohrtürme waren und das Laubwerk ein dichtes Dach über unseren Köpfen bildete. Der Boden war weich von Humus und Kiefernadeln, die Luft schwer vor Fäulnis und tierischen Exkrementen. Ein Rascheln im Geäst sagte mir, daß Affen in der Nähe waren.
»Da ist was«, sagte Jane, die ihren Empfänger eingeschaltet hatte.
Sam suchte die Bäume mit dem Feldstecher ab und fahndete nach tätowierten Codes.
»Es ist die A-Gruppe«, sagte er.
»Hunh!«
Ein junges Männchen kauerte auf einem Ast direkt über mir, die Schultern gesenkt,
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