Knochenbett: Kay Scarpettas 20. Fall (German Edition)
Fenster zeigt auf die Straße.« Sie liest ihre Mails und putzt sich dabei die Nase mit einem Taschentuch. »Vielleicht hat sie das Licht ja immer angelassen, damit es aussah, als sei jemand zu Hause.«
»Die meisten Leute würden nicht den Kristallkronleuchter und außerdem noch die Wandlampen anlassen, wenn sie aus dem Haus gehen, insbesondere nicht bei einer längeren Reise. Sämtliche Birnen auszutauschen, ist ziemlich lästig.« Ich habe in diesem Zimmer genug gesehen. Burke hört mir sowieso nur mit halbem Ohr zu.
Ich gehe aus dem Esszimmer in den Flur. Dabei frage ich mich, was wohl als Nächstes kommt und wie viel davon ich Benton zu verdanken habe. Wie viel Freiraum gesteht er ihr zu? Burke hat einen ganz bestimmten Grund, mich durch dieses Haus zu begleiten.
»Wenn sie normalerweise mit dem Auto gefahren ist, wäre es doch sinnvoller gewesen, das Licht in der Garage anzulassen.« Ich werde ihr trotzdem sagen, was ich denke. Seltsamerweise fühle ich mich in ihrer Gegenwart genauso wie heute mit Jill Donoghue im Gerichtssaal.
Im förmlich eingerichteten Wohnzimmer bleibe ich neben dem geblümten Sofa stehen. Ringsherum erkenne ich weitere europäische Antiquitäten, vermutlich aus Frankreich. Alles ist ordentlich aufgeräumt und voller Staub. Auf dem Boden neben einem Ohrensessel bemerke ich eine Leinentasche, die Wollstränge, Stricknadeln und einen offenbar halbfertigen marineblauen Schal enthält. Hätte sie ein unbeendetes Handarbeitsprojekt zurückgelassen, wenn sie vorhatte, der Stadt den ganzen Sommer lang den Rücken zu kehren? Der Kamin ist mit einem Gaseinsatz aus nachgebildeten Birkenscheiten ausgestattet. Auf dem Kaminsims liegt eine Fernbedienung.
»Der Kamin funktioniert, das habe ich überprüft«, meldet Burke.
»Die meisten Leute schalten das Pilotlicht im Sommer ab und im Herbst wieder an. Wird das Haus mit Erdgas beheizt? Es ist warm hier drin.« Ich halte Ausschau nach dem Thermostaten. »Die Heizung läuft und ist auf einundzwanzig Grad eingestellt.«
»Ich bin nicht sicher, ob es Erdgas ist.«
»Aller Wahrscheinlichkeit nach schon. Pilotlichter verbrauchen auch Gas. Wenn man sie fünf oder sechs Monate lang brennen lässt, geht einem vermutlich irgendwann das Gas aus. Also hat sie nachgetankt.«
»Jemand hat ihren Briefkasten geleert, ihre Rechnungen bezahlt, dafür gesorgt, dass genügend Gas vorhanden war, und ihre Zeitung abbestellt.« Sie verrät mir nicht, welche Schlüsse sie daraus zieht oder ob sie es überhaupt wichtig findet. »Natürlich möchte ich Ihnen nicht vorschreiben, wie Sie Ihre Arbeit machen sollen.«
»Sehr gut, denn das könnten Sie auch gar nicht.«
»Und aushorchen will ich Sie auch nicht.«
»Oh, das wollen Sie sehr wohl. Nur zu.« Ich betrachte die Blumen auf dem Couchtisch. Sie sind so verwelkt, dass kaum noch zu erkennen ist, um welche Sorte es sich handelt.
»Sind Sie sicher, dass sie nicht in der Bucht gestorben ist?«
»Auf gar keinen Fall.« Vermutlich Tulpen und Lilien, also offenbar ein Frühlingsstrauß. Außerdem steckt ein leerer Kartenhalter aus Plastik in der Vase.
»Sie kann also nicht gefesselt über Bord geworfen worden und ertrunken sein?«
»Auf gar keinen Fall«, wiederhole ich. »Als sie gefesselt wurde, war sie schon tot. Warum lässt jemand einen frischen Blumenstrauß auf dem Tisch stehen, wenn er den Sommer über verreist? Weshalb wirft er ihn nicht weg?«
»Und wie lange lag sie im Wasser?« Burke interessiert sich nicht für die Blumen.
»Meiner Schätzung nach noch keine vierundzwanzig Stunden, als sie gefunden wurde.«
»Und worauf begründet sich diese Schätzung, wenn Sie mir die Frage gestatten?«
»Kein Problem«, erwidere ich, weil es keine Rolle spielt, was ich gestatte oder nicht. Sie wird sowieso fragen, und ich überlege, ob sie wohl mit meinem Mann schläft.
Wie viel von diesem Geplänkel ist einfach nur Zickenkrieg?
»Meine Schätzung stützt sich darauf, dass durch langes Liegen im Wasser Veränderungen an der Leiche stattgefunden hätten. Oder durch Fraß«, erkläre ich.
»Fraß?«
»Fische. Krabben. Sie war noch nicht angeknabbert worden.«
»Gut. Also ist sie anderswo gestorben.«
»Richtig.«
»Und welche Schlüsse haben Sie aus der Autopsie gezogen?«
»Meiner Ansicht nach wurde sie an einem unbekannten Ort als Geisel festgehalten und hat versucht, von dort zu fliehen«, antworte ich. »Nach den Untersuchungsergebnissen zu urteilen, ist sie schon seit einigen Monaten tot.«
»Besteht
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