Knochenbett: Kay Scarpettas 20. Fall (German Edition)
mich nicht gefesselt, sondern mich in ein Netz gewickelt, und zwar ziemlich fest. Seltsamerweise denke ich an Meerestiere, an die riesige Lederschildkröte und das, was man mir erzählt hat. Wenn sie gegen etwas, wie zum Beispiel eine Langleine, stoßen, werden sie panisch, verheddern sich und ertrinken.
Keine Panik. Langsam und tief durchatmen.
Mein Telefon ist weg. Er hat mein Telefon. Und auch meine Handtasche, falls nicht beides auf dem Parkplatz vor dem Fayth House liegt, weil er die Sachen dort zurückgelassen hat.
Das würde er niemals tun.
Meine Hände werden mir an die Brust gedrückt. Ich bewege sie und stecke die Finger durch die Maschen des Netzes. Mir wird klar, dass es sich um eines der Gepäcknetze handelt, mit denen wir unsere Ladung sichern. Ich ertaste einen verknoteten Haltegurt und versuche, ihn zu lockern. Doch es klappt nicht. Meine Finger sind steif und kalt, und ich zittere. Gleich fange ich an, mit den Zähnen zu klappern. Ich zwinge mich zur Ruhe.
»Sie müssten jetzt wach sein«, verkündet er. »So viel habe ich Ihnen nicht gegeben. Ich habe mich immer gefragt, ob sie es kurz vorher riechen konnten. Den süßen Duft des Todes.«
Ich erinnere mich zwar an nichts, weiß aber, was er getan hat. Wahrscheinlich hat er immer eine Flasche im Auto. In seinem silberfarbenen Jeep Cherokee. Für den Fall, dass es ihn überkommt. Sein Mordwerkzeug.
Du Dreckschwein.
»Natürlich reagiert jeder ein wenig anders«, spricht er weiter. »Das ist dann Künstlerpech. Zu viel, und die Show ist sofort zu Ende, was mir mit der Dame in Kanada passiert ist. Ich musste sie öfter außer Gefecht setzen, weil sie mich beim Fahren gestört hat.«
Am Geräusch des Straßenbelags unter mir und dem veränderten Dröhnen des Motors erkenne ich, dass wir in einem Tunnel sind.
»Ihr Kopf lag auf meinem Schoß, und ich wusste, dass sie sich wehren würde, wenn ich den Lappen nicht griffbereit habe. Und irgendwann ist sie dann nicht mehr aufgewacht und hatte keine Gelegenheit mehr zu hören, was ich ihr zu sagen hatte. So eine verdammte Dummheit, eine schreckliche Verschwendung. Sie hat kein Wort gehört. Kein einziges.«
Als ich die Finger durch die Maschen des Netzes schiebe, ertaste ich die raue Plastikoberfläche eines anderen Koffers.
»Sie hat nichts geahnt. Nur den Schlüssel rausgeholt, um mitten im Wolkenbruch eine Tür zu öffnen. Die letzte Aktion ihres Lebens, wirklich eine Schande. Ein Jammer, nach all der Mühe, die ich mit ihr hatte. Also musste ich das Beste draus machen. Es sollte ja nicht alles umsonst gewesen sein. So ist es wenigstens ein bisschen interessanter geworden. Es kommt immer auf den richtigen Zeitpunkt an, und Geduld ist meine Stärke. Allerdings lässt sich nicht jedes Risiko ausschalten. Sie sehen ja, was passiert, wenn sich jemand einmischt.«
Ich habe keine Ahnung, welcher Tatortkoffer es ist.
»Woher wussten Sie, dass meine liebe Mutter Geburtstag hat? Vielleicht wussten Sie es auch nicht. Haben Sie sie besucht? Wahrscheinlich nicht. Es spielt keine Rolle. Sie kann sowieso nicht sprechen.«
Ich versuche, mich zu erinnern, wie genau die Tatortkoffer hier hinten angeordnet waren.
»Sie müssen zugeben, dass ich den Reiz der Sache mit meiner kleinen Mail noch erhöht habe. Schauen Sie nur, was passiert ist.«
Sein Tonfall ist höhnisch.
»Es ist ausgesprochen befriedigend, wenn der eigene Chef im Knast sitzt, weil man ihn selbst dorthin gebracht hat. Doch es lief leider nicht wie geplant. Das sollten Sie wissen. Und zum Teil ist es auch Ihre Schuld. Ich wollte nie, dass er den Prozess gewinnt. Er sollte hinter Gittern verfaulen. Es war einfach nur genau der richtige Zeitpunkt, um Aufmerksamkeit zu erregen. Schade nur, dass er jetzt nicht in einer stinkenden Zelle verschimmelt, aus der er auch mit all seinem Geld keine Luxussuite machen kann.«
Sicher musste er die Sachen verschieben, damit ich in den Kofferraum passe.
»Ich muss zugeben, dass ich es anfangs ein wenig eklig fand. Ich spreche nicht von dem widerlichen alten Kadaver, der Sie zum Nachrichtenstar gemacht hat. Eine Schabracke, die zu Lebzeiten geglaubt hat, sie wäre Mutter Teresa. Sie hat mit meiner Mutter Collagen und ähnlichen Mist gemacht und es, wenn ich zu Besuch kam, an Höflichkeit fehlen lassen. Sie war noch vor der Knochensammlerin dran. In ihrem Fall musste ich weniger radikal vorgehen, weil es nicht nötig war. Ich hatte genug Zeit für unser kleines Gespräch und konnte ihr klarmachen, dass sie im
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