Knochenbett: Kay Scarpettas 20. Fall (German Edition)
mich nicht gegen die Vorschriften des Ministeriums für Heimatschutz auflehne.
»Ich bin bereit«, erwidere ich, worauf er neben dem rothaarigen Maschinisten Platz nimmt, der, glaube ich, Sullivan heißt. Die drei Mitglieder der Mannschaft sind freundlich und sehen in ihren marineblauen Uniformen und Mützen und den leuchtend orangefarbenen Rettungswesten ziemlich schneidig aus.
Wenn ich jungen, attraktiven Männern begegne, werde ich stets daran erinnert, dass ich älter werde, und verhalte und fühle mich, als könnte ich die Mutter der Jungs sein. Also versuche ich, den Kapitän, der für Armani Modell stehen könnte, nach Möglichkeit nicht anzustarren. Dennoch bemerkt er meinen Blick und lächelt mir kurz zu, als befänden wir uns auf einer Kreuzfahrt und müssten uns nicht mit Grauen und Tod auseinandersetzen.
»Sektor eins-eins-neun-null-sieben unterwegs. GAR -Stufe eins-zwei«, funkt er der Kommandozentrale, eine Mitteilung, dass diese Mission auf der in Green-Amber-Red – also Grün-Gelb-Rot – unterteilten Risikoskala momentan noch niedrig eingestuft wird.
Die Sicht ist gut, das Wasser verhältnismäßig ruhig und die dreiköpfige Mannschaft hinreichend qualifiziert, um eine Forensikerin und ihren übellaunigen Chefermittler an eine von Inselchen und gefährlichen Sandbänken umgebene Stelle im südlichen Kanal zu bringen, wo vor einigen Stunden eine Leiche und ein Exemplar einer beinahe ausgestorbenen Schildkrötenart gefunden wurden, und zwar verheddert in Seile und möglicherweise beschwert von einer Muschelreuse.
»Gleich sind wir da!«
Der Schubhebel wird vorgeschoben, und schon beschleunigen wir auf sechsunddreißig Knoten und werden immer schneller. Das Hochleistungsboot rast mit blinkendem Blaulicht über das Wasser und löst zu beiden Seiten eine schaumige Bugwelle aus. Die M 240 im Geschützstand fehlt, denn Gewehre und Maschinengewehre standen nicht auf der Checkliste, da wir nicht mit Konflikten oder gewalttätigen Auseinandersetzungen rechnen. Außer den SIG Kaliber 40 an den Gürteln der Crewmitglieder befinden sich, soweit ich es beurteilen kann, keine Schusswaffen an Bord, falls Marino keine Pistole im Knöchelholster bei sich hat.
Ich werfe einen Blick auf die Aufschläge seiner Khakihose und die großen, in Stiefeln steckenden Füße, kann jedoch keinen Hinweis auf eine Waffe entdecken. Währenddessen beklagt er sich weiter und beäugt abfällig die hockeypuckähnliche Schließe, die sich in seinen Schritt schmiegt.
»Hör auf damit«, übertöne ich das laute Dröhnen der Außenbordmotoren und drehe mich in meinem Sitz um, damit ich besser mit ihm reden kann.
»Aber warum muss dieses Ding ausgerechnet dort sein?« Schützend schiebt er die Hand zwischen die Schließe und sein »bestes Stück«, wie er es nennt.
»Die Gurte müssen so geführt werden, dass sie die harten Körperstellen fixieren.« Ich klinge wie eine prüde Wissenschaftlerin, die sich an einem pubertären Wortspiel versucht. Dabei nehme ich die Gegenwart des attraktiven Skippers wahr, der sich als Giorgio Labella vorgestellt hat. Wie könnte ich den Namen eines Menschen vergessen, der so aussieht? Ich bemerke, dass seine großen dunklen Augen auf mir ruhen, während ich spreche, und spüre sie im Nacken, als hätte mich dort eine warme Zunge berührt.
Eigentlich habe ich meinen Mann Benton Wesley, dem nun schon seit fast zwanzig Jahren meine Liebe gilt, noch nie betrogen. Dass ich mit ihm Ehebruch begangen habe, während er mit einer anderen Frau verheiratet war, zählt nicht, denn er war ja nicht der Betrogene. Und ebenso wenig zählt meine Affäre mit einem Agent des ATF in Frankreich, als Benton sich in einem Zeugenschutzprogramm befand und ich von seinem Tod überzeugt war.
Sämtliche Beziehungen vor Benton oder während der Zeit, in der ich glauben musste, dass er nicht mehr lebt, sind bedeutungslos, und ich denke kaum noch an diese Männer. Es sind auch einige dabei, zu denen ich mich niemals bekennen werde, da ich allen Beteiligten damit unnötig schaden würde. Also bleibe ich sittsam, was aber nicht bedeutet, dass ich kein Interesse hätte. Treue in einer Beziehung heißt nicht, dass ich nicht hin und wieder mit dem Gedanken spiele oder so leichtfertig wäre, diese Möglichkeit von vornherein für mich auszuschließen. Als mehr oder weniger einzige Frau in einem männlich geprägten Berufsumfeld hat es mir nie an Gelegenheiten für einen Seitensprung gemangelt, nicht einmal jetzt, obwohl ich die
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