Knochenbett: Kay Scarpettas 20. Fall (German Edition)
Leben gekostet hat. »Wie läuft es bis jetzt?«, erkundige ich mich bei Klemens.
»Für meinen Geschmack zu viel Remmidemmi«, erwidert er. Und ich tue mein Bestes, nicht auf das seltsame Gefühl der Vertrautheit zu achten, das er stets in mir auslöst.
Er ist groß und schlaksig und hat markante Gesichtszüge, blaue Augen und einen blonden Haarschopf. Genauso hätte mein Vater vermutlich ausgesehen, wenn er die vierzig noch erlebt hätte. Wenn Klemens und ich zusammen an einem Fall arbeiten, muss ich mich stets beherrschen, um ihn nicht offen anzustarren, als sei der wichtigste Mensch meiner Kindheit von den Toten auferstanden.
»Ich fürchte, wir haben eine ziemliche Menge Leute angelockt, Doc, und ich weiß ja, wie wenig Sie das mögen.« Klemens richtet den Kopf nach oben und hält sich schützend die Hand vor Augen. »Leider bin ich machtlos dagegen. Aber wenigstens haut dieser Schwachkopf jetzt endlich ab, damit wir wieder unser eigenes Wort verstehen können.«
Wir beobachten, wie der Helikopter senkrecht aufsteigt und in etwa dreihundert Meter Höhe verharrt. Ich frage mich, ob die Küstenwache den Piloten des Senders angefunkt und ihn angewiesen hat, umgehend aufzusteigen. Oder haben wir das der Feuerwehr zu verdanken?
»Viel besser«, stimme ich zu. »Trotzdem wäre es mir lieber, wenn er ganz verschwinden würde.«
»Wird er leider nicht.« Der Feuerwehrmann namens Jack sucht mit dem Feldstecher das Wasser ab. »Eine tolle Story. So als wäre uns Nessie höchstpersönlich ins Netz gegangen. Und dabei kennen die Reporter noch nicht einmal die ganze Geschichte.«
»Was genau wissen die denn?«, frage ich ihn.
»Nun, natürlich, dass wir hier sind. Und je eher wir den Dicken wieder zu Wasser lassen, desto besser«, erwidert Klemens. »Sie sehen ja, was wir für einen Tiefgang haben.«
Wegen des Gewichts der Schildkröte und der Retter, die sie versorgen, befindet sich die Tauchplattform beinahe auf gleicher Höhe mit dem Wasser. Die Wellen umspülen sie, während das Boot auf der Brandung tanzt.
»Der ist sogar noch schwerer als die geschätzten eintausenddreihundert Kilo«, fügt Klemens hinzu. »Wir stoßen ständig auf in Leinen verhedderte oder gestrandete Tiere, und fast immer ist es zu spät. Aber der hier hat eine gute Chance. Was für ein Ungetüm.«
Klemens lehnt sich an den Fender des Rettungs-Festrumpfschlauchboots mit grauem länglichem Rumpf und 60 - PS -Motor. Ich bemerke, dass das Gestell mit der hydraulischen Winde noch auf der anderen Seite unter einer roten Plane steht. Eigentlich dient es dazu, Menschen und Gegenstände, also auch eine Monsterschildkröte, aus dem Wasser zu holen. Doch offenbar ist das Ungeheuer nicht mit der Winde an Bord gehievt worden, was ich Klemens gegenüber anmerke. Das wundert mich nicht. Ganz gleich, ob es sich um einen fünfzig Kilo schweren grauen Seehund, eine große Karettschildkröte oder einen Delphin handelt, Tierschützer befürchten stets, dass eine Winde das Tier noch weiter verletzen könnte, und lehnen den Einsatz deshalb ab.
»Könnte etwas möglicherweise auch nur die geringste Übertragung von Spuren oder Beweisstücken zur Folge gehabt haben?«, weise ich Klemens darauf hin, dass ich über jeden einzelnen Schritt unterrichtet werden möchte.
»Nun, ich glaube nicht, dass die Schildkröte jemanden auf dem Gewissen hat«, entgegnet er in gespieltem Ernst.
»Vermutlich nicht, aber trotzdem.«
»Es wurde kein Gerät benutzt«, bestätigt er. »Obwohl ich die Ansicht vertrete, dass wir auch eine Schildkröte unverletzt an Bord kriegen müssten, wenn wir das bei Menschen schaffen. Doch sie sind auf ihre übliche Methode vorgegangen, indem sie das Vieh nach und nach herangeholt und ihm das Geschirr angelegt haben. Dann haben sie die Rampe druntergeschoben und den Schwimmsack aufgeblasen. Und zu guter Letzt haben wir das Ungetüm gemeinsam auf die Plattform gezogen. Natürlich erst, nachdem die Flossen zusammengebunden waren. Wenn er mit diesen Dingern um sich schlägt, könnte er uns das ganze Boot zerlegen und außerdem ein paar von uns ins Nirwana schicken.«
Ich weise ihn auf einen gelben Fender hin, der nicht weit von uns entfernt an einem Bojentau befestigt ist, und frage ihn, ob die Schildkröte damit verheddert gewesen sei. Dabei bemerke ich, dass nichts gesäubert worden ist.
»Nein«, erwidert er. »Es war irgendwelche Fischereiausrüstung, vermutlich Hakenschlingen von einer Langleine, die sich um die linke Vorderflosse
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