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Knochenbett: Kay Scarpettas 20. Fall (German Edition)

Knochenbett: Kay Scarpettas 20. Fall (German Edition)

Titel: Knochenbett: Kay Scarpettas 20. Fall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
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wenige Stunden, nicht einmal ein Tag. Ihm fehlt nichts, was im Salzwasser nicht heilen würde. Nur eine leichte Abschürfung an einer Flosse und noch eine am Hinterkopf, wie Sie selbst sehen können. Der rosafarbene Fleck ist kein Problem.«
    Ihre in einem Latexhandschuh steckende Hand tätschelt den rosigen Fleck auf seinem dunkel gemaserten Kopf. Inzwischen ist sie ein wenig lockerer geworden und scheint mich nicht mehr ganz so zu verabscheuen.
    »Jede Lederschildkröte hat einen unverwechselbaren Fingerabdruck«, erklärt sie. »Wir können die einzelnen Tiere tatsächlich anhand dieser Flecken auf dem Kopf identifizieren. Wozu er gut sein soll, wissen wir auch nicht genau. Vielleicht ist es ja eine Art Sensor, der Licht wahrnimmt oder es dem Tier ermöglicht, sich im Ozean zurechtzufinden.«
    »Kann ich mir seine Verletzungen anschauen? Dann verspreche ich, Sie in Ruhe zu lassen.«
    Sie zieht das nasse Laken von seinem Hals weg, und als ich mich nur wenige Zentimeter über die verletzte, mindestens eins achtzig lange Flosse beuge, steigt mir sein Geruch nach frischem Fisch in die Nase. Im nächsten Moment nehme ich den kräftigen Ammoniakgeruch von Urin wahr.
    »Sehr gut.« Offenbar hat sie es auch bemerkt. »Je lebhafter und aktiver, desto besser. Alle Systeme müssen arbeiten. Wie ich schon sagte, ist es nichts Ernstes. Der schlimmste Übeltäter ist das da. Hier in die Kante hat sich ein Stück von einer Muschelschale eingegraben. Ich wollte sie gerade entfernen.«
    Sie zeigt mir eine Scherbe, die wie eine weiße Muschel oder Glas aussieht. Wie sie annimmt, hat sich der Gegenstand nah am Hals in den Rückenschild gebohrt, wo die ledrige Haut entzündet und aufgeschürft ist.
    »Sie glauben also, er ist gegen etwas gestoßen, was mit Rankenfußkrebsen besiedelt war«, stelle ich fest.
    »Ich glaube eher, dass etwas, was mit Rankenfußkrebsen besiedelt war, ihn gerammt hat«, erwidert sie. Allerdings bin ich nicht sicher, ob ich diese Auffassung teile, denn ich habe noch weitere venusmuschelähnliche Rankenfußkrebse entdeckt, die die gummiartige Außenhaut des schuppigen Rückenschildes bedecken. »Vielleicht ist er ja, während er in die Leine verheddert war und das ganze Gewicht mitgeschleppt hat, von einem Boot gestreift worden oder gegen eine Kanalboje, einen Pfosten, einen Felsen oder sonst etwas geprallt. Jedenfalls gegen etwas, dem Rankenfußkrebse anhaften. Normalerweise würde ich das Ding sicherstellen und in Formalin einlegen.«
    »Es ist besser, wenn ich das übernehme.«
    Sie verzieht missbilligend das Gesicht und will widersprechen.
    »Wirklich«, beharre ich.
    Sie schweigt, worauf ich Marino mit einer Handbewegung bitte, mir den Pelican- 1620 -Tatortkoffer zu bringen. Ich versichere Pamela Quick, dass ich das Beweisstück entfernen werde, ohne der Schildkröte Schaden zuzufügen, und zwar so sorgfältig wie möglich. Dann reiße ich die Verpackung einer Einwegpinzette auf. Ich bin überrascht, wie glatt und kühl sich die Oberfläche des Rückenschildes anfühlt. Wie polierter Stein oder eingefettetes hartes Leder.
    Noch nie habe ich etwas von der dichten Beschaffenheit der Flosse berührt; es fühlt sich ähnlich an wie ballistische Gelatine. Ich setze eine Gleitsicht-Lupenbrille mit 3 , 5 facher Vergrößerung in einem leichten Gestell auf, um die Hände frei zu haben, beuge mich vor und spüre, unter welcher Anspannung dieses Lebewesen steht. Sein Atem zischt, und ich erahne, welche Kräfte er freisetzen könnte, sollte es ihm gelingen, die Fesseln loszuwerden. Seine Flossen sind so gefährlich wie die eines Wals, und seine scherenähnlichen Kiefer sehen aus, als könnte er damit Gliedmaßen zermalmen oder amputieren, wenn er sie zu fassen bekommt.
    Vergrößert schimmert die aus der Haut ragende weiße Scherbe wie Perlmutt und hat die Form einer Venusmuschel mit einem dunklen Muskelstiel, den ich vorsichtig mit den Spitzen der Plastikpinzette umfasse, während ich sanft die rechte Hand auf den riesigen Kopf der Schildkröte lege. Er ist so kühl und glatt wie versteinerter Knochen, und ich bemerke, dass er sich langsam und schwerfällig bewegt. Ich achte sorgfältig darauf, seinen Kiefern nicht zu nah zu kommen, höre seine Atemstöße und spüre seinen weichen rosigen Hals an meinem Bein, als er sich aufplustert und ein lautes Stöhnen, gefolgt von einem kehligen Knurren, von sich gibt.
    »Jetzt sei doch nicht so ein alter Knurrhahn«, sage ich zu ihm. »Niemand tut dir etwas. Alles wird

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