Knochenbett: Kay Scarpettas 20. Fall (German Edition)
Noch nicht freigeben. Danke –
KS
.
Als ich einen Blick in den Autopsiesaal nebenan werfe, ist er menschenleer und blitzblank. Der Boden ist noch feucht vom Wischen. Lange Reihen unbenutzter Stahltische schimmern matt im Tageslicht, das durch die Einwegscheiben der Fenster an der Seite und in Richtung Parkplatz hereinströmt. Die starken Scheinwerfer in ihren Leisten an der zehn Meter hohen Decke sind ausgeschaltet. Die Beobachtungsfenster der Lehrlabors oben an den Wänden sind dunkel.
Luke Zenner hält sich gern hier auf, genießt die Ruhe, füllt Formulare aus, sieht nach laufenden Projekten oder räumt seinen Arbeitsplatz, Tisch Nummer 2 , auf, der genau neben meinem steht. Doch im Moment sehe ich weder ihn noch einen anderen meiner fünf Forensiker. Die Ermittler sitzen vermutlich in ihren Büros, nehmen ihre Termine wahr oder sind draußen im Einsatz.
Ich gebe das Passwort in mein iPhone ein, um Luke eine Nachricht zu schicken, und stelle fest, dass eine von Benton eingetroffen ist.
Klappt das mit fünf noch & ist alles in Ordnung? Habe Nachrichten gesehen.
Ich antworte ihm, dass ich nach der Gerichtsverhandlung sofort ins CFC zurückkehren und wahrscheinlich bis zum frühen Abend arbeiten werde. Sobald ich fertig sei, könne ich mich mit ihm und den anderen Agents treffen.
Rufe an, wenn ich Pause habe,
schreibe ich.
Abendessen? Falls es sehr spät wird, Lieferservice in die Sitzung?
Sofort piepst mein Telefon.
Hole etwas bei Armando’s,
erwidert er.
Kombis mit extra Käse, frischen Tomaten, Peperoni, Zwiebeln. 1 -mal mit Spinat und Artischockenherzen. Sag, dass sie für mich sind.
Ich füge hinzu, dass ich mich darauf freue, ihn zu sehen.
Wie erleichtert werde ich sein, wenn Benton hier ist und ich diesen Nachmittag hinter mir habe. Ich schaue auf die Uhr. Es ist achtundzwanzig Minuten nach eins. Ich schreibe Luke eine SMS wegen des Falls Howard Roth, teile ihm mit, dass wir darüber sprechen müssen, und weise ihn an, die Leiche noch nicht freizugeben.
Müsste in ein paar Stunden zurück sein,
tippe ich, während ich am Raum für kontaminierte Gegenstände, am Vorzimmer, den Umkleideräumen und den Garderoben vorbeigehe. Von Luke oder den anderen fehlt jede Spur, was um diese Uhrzeit normal ist, wenn wir nicht ungewöhnlich viele Fälle haben.
Hinter der Anthropologie beschreibt der Flur eine Biegung zum Bio 4 -Labor, das Toten mit Verdacht auf ansteckende Krankheiten und verseuchten oder stark verwesten Leichen vorbehalten ist. Ich drücke mit dem Ellbogen auf einen Knopf, der automatisch eine Metalltür öffnet, trete in eine luftdichte Schleuse und hänge die Jacke auf. Nachdem ich mir Schutzkleidung vom Regal genommen habe, drücke ich auf einen zweiten Knopf. Eine andere Tür geht auf und gibt Marino frei. Er ist von Kopf bis Fuß in weißes Tyvek gehüllt und überprüft seine Fotoausrüstung.
Der Rollwagen mit dem schwarzen Leichensack darauf steht neben drei mit an der Wand befestigten Waschbecken verbundenen Edelstahltischen. Die Beobachtungsfenster darüber sind dunkel. Die Uhr seitlich der Kühlkammer erinnert mich mahnend daran, dass es inzwischen halb zwei ist. In genau einer halben Stunde werde ich beim Gericht erwartet. So albern es auch ist, habe ich noch immer Hoffnung, dass der Termin in letzter Minute abgesagt werden könnte. Vielleicht ist es bei der Verhandlung ja auch zu Verzögerungen gekommen, weshalb der Richter mir meine Unpünktlichkeit verzeihen wird.
»Dachte schon, du hättest dich verlaufen«, meint Marino und stülpt sich eine Designer- OP -Kappe auf den kahlen Schädel. Es ist eine mit Totenköpfen verzierte, die man hinten zuknotet wie ein Biker-Kopftuch.
»Vielleicht haben wir einen Problemfall.«
»Nicht
noch
einen.«
»Der Mann, der angeblich die Treppe runtergestürzt ist«, erkläre ich. »Für mich sieht das nicht nach einem Unfall aus, außer es war ein zehnstöckiges Gebäude und er ist unterwegs noch mit ein paar harten Gegenständen zusammengestoßen. Das war doch Tobys Einsatz, oder?«
»Er war am Fundort, konnte aber nichts Ungewöhnliches feststellen.«
Ich lehne mich an eine Arbeitsfläche und ziehe Überschuhe über meine nassen Stiefel.
»Kennst du Einzelheiten?«, frage ich.
»Es ist Machados Fall.«
»War er heute Morgen bei der Autopsie?«, hake ich nach.
»Unser portugiesischer Krieger lässt sich doch kein Blutbad entgehen. Er hat gesagt, dass er hinwill. Ich erkundige mich später bei ihm, wenn ich kurz Zeit habe, oder ich
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