Knochenbett: Kay Scarpettas 20. Fall (German Edition)
verstehe nicht, was hier gespielt wird. Irgendetwas ist da im Busch.
»Meistens ist es bei einem CT andersherum«, sagt Anne gerade. Sie sitzt an ihrem Arbeitsplatz, Luke hat sich einen Stuhl herangezogen.
Auf der anderen Seite der Bleiglasscheibe ragen nackte Füße mit verschrumpelten Zehen und rosa lackierten geschnittenen Nägeln aus dem eierschalfarbenen Scanner von Siemens. Auf Videoschirmen sind, wie ich lese, Aufnahmen einer
Nichtidentifizierten weißen Frau aus der
MA
Bay
zu sehen. Ich kann nicht fassen, das Anne und Luke ohne mich angefangen haben. Schließlich habe ich unmissverständlich klargemacht, dass die Leiche die Kühlkammer nicht verlassen darf. Ich habe ausdrückliche Anweisung gegeben, die Tote nicht zu berühren und die Türen zur Identifizierungsabteilung und zum Labor für vewesende Leichen bis zu meiner Rückkehr von Gericht verschlossen zu halten.
»Was ist hier los?« Ich sehe Benton in die Augen und erkenne den Ausdruck, der sich in ihnen malt. »Was ist passiert?«
Er hat einen scharlachroten Jogginganzug mit dem Logo der medizinischen Fakultät von Harvard und Laufschuhe an. Über seinem Arm hängt eine Regenjacke. Vermutlich ist er aus dem Fitnessstudio geholt worden. Wahrscheinlich von Douglas Burke, denke ich, einer hochgewachsenen Brünetten, die für die Spitznamen Doug oder Dougie viel zu hübsch und weiblich ist. Es kommt nicht selten vor, dass sie spurlos mit Benton verschwindet. Um jede Tages- oder Nachtzeit, am Wochenende oder an einem Feiertag, ohne dass mir jemand etwas erklärt. Ich weiß, wann man besser keine Fragen stellt. Doch jetzt habe ich genug von der Heimlichtuerei.
Sobald wir einen Moment allein sind, werde ich verlangen, dass er mir genau erzählt, was das hier soll. Ich erkenne nämlich in seinem angespannten Kiefer und dem finsteren Ausdruck auf seinem scharfgeschnittenen Gesicht, dass etwas im Argen liegt. Außerdem fällt mir auf, dass er Marino vollkommen ignoriert. Benton zeigt Marino die kalte Schulter, und das Gleiche gilt für Burke, Machado und die fremde Frau. Nur Anne und Luke verhalten sich, als könnten sie kein Wässerlein trüben und als sei ein Besuch des FBI und der Polizei das Alltäglichste von der Welt – und die sind eindeutig nicht hier, um sich CT -Aufnahmen oder eine Autopsie anzusehen.
»Wie ist das werte Befinden?«, fragt Marino. Nur Anne erwidert, es gehe ihr gut, und offenbar merkt er jetzt auch, dass etwas nicht stimmt.
»Ich habe gerade erklärt, dass ein CT mehr oder weniger umgekehrt wie ein MR funktioniert. Blut erscheint im CT hell und im MR dunkel«, meint Anne zu Marino und mir.
Niemand antwortet, und die Anspannung nimmt zu.
»Allerdings nicht bei anderen Flüssigkeiten, insbesondere Wasser, weil Wasser eine andere Dichte aufweist«, wendet sich Anne an Machado, Burke und die fremde Frau, die vermutlich auch beim FBI ist.
Abwartend blicke ich Benton an.
»Diese Bereiche hier und dort?« Anne weist auf Nebenhöhlen, Lunge und Magen, die dreidimensional auf verschiedenen Bildschirmen dargestellt werden. »Wenn sie dunkel, also beinahe schwarz wären, könnte das auf das Vorhandensein von Wasser hindeuten, was bei Tod durch Ertrinken typisch ist. CTs sind bei Ertrunkenen wirklich eine große Hilfe. Denn wenn man die Leiche bei der Autopsie öffnet, verliert man manchmal die Flüssigkeit, bevor man sie bemerkt, insbesondere wenn Wasser im Magen ist. Aber wenn man zuerst ein CT macht, entgeht einem nichts.«
»Wir rechnen nicht mit Wasser in der Lunge, im Magen oder sonst irgendwo«, sage ich zu Anne, jedoch ohne den Blick von Benton abzuwenden. »Sie ist leicht mumifiziert und hat kaum noch einen Tropfen Flüssigkeit im gesamten Körper. Das Blut reichte gerade eben für Abstriche auf einer DNA -Karte, und falls sie wirklich ertrunken ist, ist das gewiss schon eine Zeitlang her.«
Immer wieder muss ich an Marinos Verhalten von vorhin denken. Er hat sich aufgeführt, als hätte die Tote ihm etwas getan. Sein Theater wegen der antiken Knöpfe an ihrer Jacke war absurd. Ich bekomme einen unguten Verdacht, den ich selbst nicht glauben will.
»Als sie beschwert und in die Bucht geworfen wurde, war sie schon seit einer Weile tot«, fahre ich fort. »Und jetzt möchte ich wissen, wer diese Versammlung einberufen hat.«
»Ich glaube, wir haben sie identifiziert«, erwidert Machado.
Zwanzig
Er dreht sich zu Benton, Special Agent Burke und der fremden Frau um, als sei es an ihnen fortzufahren. Ich kann mir denken, was
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