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Knochenbett: Kay Scarpettas 20. Fall (German Edition)

Knochenbett: Kay Scarpettas 20. Fall (German Edition)

Titel: Knochenbett: Kay Scarpettas 20. Fall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
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sondern dass er überhaupt je gedreht worden ist.
    Einige Sekunden lang war das ausgemergelte, ledrige Gesicht der Toten deutlich zu sehen, während ich sie in den mit Leichensäcken ausgekleideten Rettungskorb gehievt habe. Es ist zwar möglich, dass sie wegen ihres stark ausgetrockneten Zustandes niemand mehr identifizieren kann, doch dafür gibt es keine Gewissheit. Vielleicht hat ein naher Angehöriger, ein Familienmitglied oder ein guter Freund sie ja erkannt, und das ist eine schreckliche Art, eine Todesnachricht zu erhalten. Es hätte niemals gesendet werden dürfen.
    »Das Verfahren gegen ihn wird eingestellt«, verkündet Marino.
    Die Scheibenwischer fahren quietschend über das Glas. Der prasselnde, eiskalte Regen trommelt aufs Dach und strömt über die Windschutzscheibe, als säßen wir in einer Autowaschanlage. Channing Lott könnte freigesprochen werden, was vielleicht sogar richtig ist. Ich habe keine Ahnung. Doch wenn die Geschworenen dasselbe bemerkt haben wie ich vor einer knappen Stunde, haben sie nun vermutlich ein völlig anderes Bild von dem durchsetzungsfähigen Unternehmer, denn das im Gerichtssaal vorgeführte Video hat ihn offenbar wirklich betroffen gemacht. Auf mich hat er tragisch, verängstigt und eindeutig traurig gewirkt, als er auf das wartete, was er gleich zu sehen bekommen würde. Danach schloss er die Augen und sackte, von großer Erleichterung ergriffen, beinahe in seinem Stuhl zusammen.
    Er wirkte wie von einer Zentnerlast befreit, als er erkannte, dass es sich nicht um seine Frau handelte. Diese Reaktion deutete nicht eben darauf hin, dass er für ihr Schicksal verantwortlich ist. Wenn die Leiche seiner Frau ausgerechnet jetzt gefunden worden wäre, wäre das schließlich zu seinem Vorteil gewesen. Meine Aussage, was den mutmaßlichen Todeszeitpunkt angeht, hätte daran nichts mehr geändert.
    Solche Untersuchungsergebnisse wirken auf Geschworene nur verwirrend. Die Vorstellung, dass eine intakte Leiche sechs Monate nach dem angeblichen Mord durch einen Auftragskiller intakt aus der Massachusetts Bay geborgen wird, übersteigt ihr Verständnis. Natürlich ziehe ich auch in Betracht, dass Channing Lott ein ausgekochter Soziopath ist, ein Schauspieler und Blender, der wusste, dass während der entscheidenden Filmvorführung alle Augen auf ihm ruhen würden. Vielleicht wollte er von den Anwesenden bemitleidet werden, und das ist ihm auch geglückt.
    »Er könnte freigesprochen werden, und wenn die Geschworenen vernünftige Zweifel haben, ist es das richtige Urteil«, entgegne ich. Im Moment will ich nur noch nach Hause.
    Ich sehne mich nach Kopfschmerztabletten, einem ausgedehnten heißen Bad und einem Scotch auf Eis. Außerdem will ich mit Benton sprechen. Ich möchte hören, was er zu den Vorgängen im Gerichtssaal zu sagen hat. Wie genau lauten die Gerüchte über Richter Joseph Conry? Sind sie vielleicht eine Erklärung dafür, warum er so wütend auf mich ist und keinem der, wenn auch wenigen, Einsprüche von Dan Steward stattgegeben hat? Andererseits will ich es möglicherweise gar nicht wissen. Es würde sowieso nichts ändern.
    »Tja, jetzt dürfte es auf der Welt keinen Geschworenen mehr geben, der ihn schuldig spricht.« Marino beugt sich vor und späht angestrengt durch den dichten Regenschleier. Die Scheinwerfer der entgegenkommenden Autos blenden uns. »Donoghue brauchte nur anzudeuten, dass Mildred Lotts Leiche gerade gefunden wurde oder irgendwann gefunden werden wird oder dass sie vielleicht ja gar nicht tot ist. Das Vorführen dieses Videos war ihr Durchbruch, ein Bild, mehr wert als tausend Worte, obwohl es sich wahrscheinlich gar nicht um Mildred Lott handelt.«
    »Sie kann es nicht sein, wenn ihre Krankenakten keine Fälschungen sind. Außerdem müsste sie geschrumpft sein.«
    »Nun, sie sah ziemlich geschrumpft aus.«
    »Knochen schrumpfen nicht. Mildred Lott soll eins fünfundsiebzig gewesen sein. Unsere Tote ist nicht annähernd so groß.«
    »Aber eigentlich muss man den Hut vor ihr ziehen.« Marino spricht weiter über Jill Donoghue, denn er hat jede Sekunde ihres Treibens beobachtet. Ohne dass ich es bemerkt habe, hat er ganz hinten im Gerichtssaal gesessen.
    Er hat die ganze Quälerei miterlebt. Die Standpauke des Richters und die mir aufgebrummte Geldstrafe, die etwa fünfmal höher war als in solchen Fällen üblich – nicht dass ich jemals eine Geldstrafe hätte bezahlen müssen. Indem er aus vollen Rohren gefeuert hat, hat er Donoghue für ihr

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