Knochenbett: Kay Scarpettas 20. Fall (German Edition)
»Brauchen Sie auch einen Ausdruck?«
»Ich bin nun mal ein altmodischer Mensch und bevorzuge Papier. Sie hat viele besondere Merkmale und eine ordentliche Stange Geld in ihr Gebiss verbaut. Also dürfte es nicht lange dauern. Läuft die Kiste?« Er bleibt an der Tür zum Röntgenraum stehen, als handle es sich um den möglicherweise gefährlichen Schauplatz einer militärischen Operation.
»Der CT ist abgeschaltet«, erwidere ich. »Wissen Sie, wie man den Tisch herausfährt?«
»Ja.« Er zieht den Mantel aus.
»Vermutlich ist der Grund, dass ihre Initialen PLS lauten«, erklärt Douglas Burke. »Vielleicht kommt daher das
Please.
«
»Sie twittern doch, oder, Kay?« Valerie Hahn benimmt sich, als wären wir Freundinnen.
»Nur selten.« Allmählich schwant mir etwas. Zumindest habe ich einen Verdacht. »Ich benutze Twitter nicht als soziales Netzwerk oder Kommunikationsmittel.«
»Nun, mir ist bekannt, dass Sie nie mit Peggy Lynn Stanton getwittert haben, deren Nickname auf Twitter
Pretty Please
lautet«, ergänzt Hahn.
»Ich twittere mit überhaupt niemandem.«
Marino, was hast du angerichtet?
»Es ist ziemlich leicht festzustellen, dass Sie beide nicht miteinander getwittert haben.« Hahn ist ihrer Sache offenbar sehr sicher. »Um das zu sehen, braucht man nicht einmal Systemadministrator zu sein.«
»Ich glaube, so weit brauchen wir jetzt nicht ins Detail zu gehen.« Benton beobachtet Ned Adams durch die Glasscheibe.
»Doch, das glaube ich sehr wohl.« Ich starre ihn an, bis er meinen Blick erwidert.
»Es genügt die Anmerkung, dass die vielen Fernsehberichte zumindest in einer Hinsicht hilfreich waren.« An Bentons ausdruckslosen Augen erkenne ich, dass er nur ungern antwortet. »In unserem Bostoner Büro sind Anrufe eingegangen. In Cambridge, Chicago und Florida ebenfalls. Mindestens ein Dutzend Personen sind überzeugt, dass es sich bei der Toten um Peggy Stanton handelt. Nach Aussage dieser Leute haben sie sie seit Mai, als sie angeblich unterwegs zu ihrem Haus am Lake Michigan oder vielleicht auch nach Palm Beach war, weder gesehen noch von ihr gehört. Die Leute hier haben sie in Illinois vermutet, während man dort annahm, sie sei in Massachusetts. Andere sind davon ausgegangen, dass sie sich in Florida aufhält.«
»Ist
Leute
gleichbedeutend mit Freunden?« Ich habe Mühe, mir mein mulmiges Gefühl nicht anmerken zu lassen.
»Verschiedene Bürgerinitiativen und Kirchengruppen.« Benton weiß genau, was ich empfinde, doch er achtet nicht darauf.
Das ist eine Nebenwirkung unseres Berufs. So sieht unser Leben aus.
»Offenbar hat sie sich ehrenamtlich stark in der Seniorenarbeit engagiert. Hier, in Chicago und in Florida«, fügt er hinzu.
»Und ihre Angehörigen haben sich all die Monate lang nicht gewundert, wo sie abgeblieben sein könnte?« Ich denke an das, was Marino mir heute Morgen im Auto auf der Fahrt zur Küstenwache erzählt hat.
»Ihr Mann und ihre beiden Kinder sind vor dreizehn Jahren beim Absturz ihres Privatflugzeugs ums Leben gekommen«, sagt Benton in sachlichem Ton. Er kann manchmal so gleichgültig klingen.
Obwohl er in Wirklichkeit ganz anders ist.
»Ein Finanzmakler mit einer dicken Lebensversicherung«, ergänzt er. »Also hat er sie ziemlich gut abgesichert, nicht dass sie vorher eine arme Frau gewesen wäre.«
»Und niemand hat sich beschwert, weil sie ihre Rechnungen nicht bezahlt? Keinem ist aufgefallen, dass sie weder auf Mails noch auf Anrufe reagiert?« Ich spreche nicht aus, was ich wirklich denke.
Nämlich wie einfach es ist, Marino im Cyberspace aufs Glatteis zu führen, denn er kennt sich zu schlecht damit aus und ist wegen seines mangelnden Selbstbewusstseins eine leichte Beute.
»Die Rechnungen wurden alle bezahlt«, entgegnet Benton. »Außerdem hat sie vor zwei Wochen noch getwittert. Erst vorgestern hat sie noch ihr Mobiltelefon benutzt …«
»Das hat die Frau, die da drinnen liegt, ganz sicher nicht getan«, fällt Luke Benton ins Wort, während er Ned Adams durch die Glasscheibe beobachtet.
»Jemand muss es getan haben«, beharrt Benton, sieht Luke dabei jedoch nicht an.
Im Röntgenraum öffnet Ned Adams seine schwarze Ledertasche, setzt die Brille auf und betrachtet den Bildschirm, der die Röntgenaufnahmen des Gebisses zeigt.
»Sie ist schon viel länger tot als zwei Tage oder zwei Wochen«, spricht Luke weiter, obwohl er eigentlich den Mund halten sollte. »Sie hat eindeutig schon seit einiger Zeit weder getwittert noch Schecks
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