Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Knochenbrecher (German Edition)

Knochenbrecher (German Edition)

Titel: Knochenbrecher (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Flessner
Vom Netzwerk:
Serienhelden Adrian Monk, denen ein Blick ausreichte, um die narrative Funktion eines Staubkorns, einer winzigen Geste oder eines nicht korrekt platzierten I-Punktes zu erkennen. Noch dazu waren die Erzählungen, so kurios und unwahrscheinlich sie am Ende auch sein mochten, immer in sich stimmig. Irrtümer hatten da keinen Platz. Die Bedeutungen der Indizien waren immer klar und niemals mehrdeutig, die Welt war kausal intakt. Vermisst Sir Henry Baskerville einen Schuh, gibt es dafür nur eine Erklärung. Was Dr. Watson für eine Kinderzeichnung hält, wird von Sherlock Holmes umgehend als Geheimschrift entschlüsselt. Als was auch sonst. Ohne sich in die Abgründe des Verstehens und seiner Bedingungen zu stürzen, schob Greven der Großstadt die Verantwortung für den Erfolg gewisser Detektive zu. In London oder San Francisco, entschied er, war der Aufbau der Welt seit jeher eben ein anderer als in Ostfriesland. So trivial diese in vielen Variationen schon oft gemachte Behauptung auch war, vielleicht besaß sie ja doch einen wahren Kern, eine Art ostfriesische Unschärferelation, eine spezifische Erscheinungsform des Schmetterlingseffektes, den ein Systemtheoretiker oder Chaosphysiker mühelos wissenschaftlich würde erklären können. Eine minimale Änderung der Ausgangsbedingung konnte zu einem völlig anderen Ergebnis führen. So oder ähnlich hatte es in einem Spiegel -Artikel gestanden.
    Greven griff, in Gedanken den Artikel rekonstruierend, zur Ablage neben der Wanne, auf der er gewöhnlich sein Glas abstellte, doch seine Hand bekam nur etwas flüchtigen Schaum zu fassen. Als Mona aus dem Atelier zurück ins Bad kam, unternahm er gerade einen zweiten Versuch, der ihr nicht entging: »Eine neue Tai-Chi-Übung?«
    »Gerade von mir erfunden«, murrte Greven und zog seine Hand zurück. »Hast du Peter erreicht?«
    »Hab ich«, nickte Mona. »Er findet meine Idee ausgezeichnet und schickt gleich einen Wagen hin. Außerdem will er noch den Dorfsheriff informieren.«
    »Hatte er sonst noch was?«
    »Ja. Was Hansen über das Streichholzbriefchen gesagt hat, stimmt. Er hat mit dem Diskothekenbesitzer telefoniert. Der hat die Streichhölzer erst gestern von irgendeinem Hersteller aus Bremen erhalten und abends die ersten an Stammkunden verteilt.«
    Greven ließ sich bis zum Hals in die Wanne gleiten und fragte: »Sag mal, Mona, wie lange waren wir eigentlich nicht mehr bei Meta ?«
    »Mindestens ein Jahr«, antwortete Mona. »Aber du willst doch nicht etwa heute …? Außerdem ist es dazu viel zu spät. Essen müssen wir auch noch. Anzuziehen habe ich auch nichts.«
    »Ein bisschen viele Gegenargumente auf einmal«, blubberte Greven durch den Schaum. »Vor ein Uhr ist da heute sowieso nichts los, jedenfalls nichts für die Generation Fünfzigplus. Wir haben also jede Menge Zeit für deinen Kleiderschrank und ein Dreigängemenü. Und wie ich dich kenne, warst du heute einkaufen.«
    »War ich auch«, sang Mona verheißungsvoll und beugte sich über die Wanne. »Mach dich also auf eine kulinarische Sensation gefasst!«
    »Spann mich nicht auf die Folter«, fragte Greven halb getaucht.
    »Es gibt Grünkernknödel mit Sauerkraut nach Barbara Rütting«, sagte Mona und half Greven, ganz unterzutauchen.

 
     
     
     
    6
    Das Haus Waterkant kannte fast keiner, Meta jeder. Jedenfalls jeder, der irgendwann zwischen 1965 und der Gegenwart in Ostfriesland jung gewesen war. Meta war Kult, und das immer noch, obwohl die Erfinderin und Namensgeberin der Diskothek 1994 an Krebs gestorben war. Meta war Kult, so abgedroschen das auch klingen mochte, in diesem Fall traf die längst inflationär gewordene Behauptung tatsächlich zu. Sven Rogall, Metas Sohn, hatte es geschafft, die in die Jahre gekommene Aura des an einen Schuppen erinnernden Hauses, der winzigen Tanzfläche und der Baumscheibensitzgelegenheiten ins 21. Jahrhundert zu retten. Wenigstens für ein paar Jahre. Denn das Ende war schon lange beschlossene Sache. Spätestens 2008 sollte das Haus einem großen Geschäftszentrum weichen. Knockin’ on Heaven’s Door. The Times They are a-Changin’.
    Doch davon war in dieser Samstagnacht nichts zu spüren. Wie immer war kein Durchkommen, pferchten sich die Gäste selbst in die engen Gänge ein und umzingelten die Tanzfläche, als öffnete sich dort gerade die Pforte zu einer anderen Welt. Dabei ruderten und stampften dort lediglich vier Endvierziger ohne Anspruch auf irgendeinen Stil zu einem etwa ebenso alten Clapton-Song.

Weitere Kostenlose Bücher