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Knochenbrecher (German Edition)

Knochenbrecher (German Edition)

Titel: Knochenbrecher (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Flessner
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seinen Ausweis vorgeholt hatte. Eine ganze Stunde lang stellte er die beiden Räume mit den Augen auf den Kopf, öffnete die von der Spurensicherung längst durchsuchten Schubladen und ließ auch die kleine Dachkammer nicht aus, die Hedda als Schlafzimmer gedient hatte. Trotz fundierter Kenntnisse im Durchsuchen von Wohnungen stieß er auf keinen Anhaltspunkt. Auch das Gefühl, etwas übersehen zu haben und die Suche noch einmal von vorne beginnen zu müssen, stellte sich nicht ein. Das Hexenhaus hatte all seine Geheimnisse preisgegeben. Selbst die Magie, die es in seinen Kindertagen ausgestrahlt hatte, war erloschen, das verwunschene Haus zu einem ganz normalen Haus geworden. Angesichts des Hasses auf ihre Schwester konnte sich Greven auch nicht vorstellen, dass Almuth Bogena hier einziehen würde, um nun Greetsiel mit Ringen zu versorgen. Er tippte auf einen baldigen Verkauf und ein Schicksal als Ferienwohnung, von denen es noch immer nicht genug zu geben schien. Bei fast jedem Besuch in seinem Heimatdorf entdeckte er neue Baustellen, auf denen Hinweistafeln Ferienhäuser und -wohnungen anpriesen, die bereits in der nächsten Saison bezugsfertig seien. Längst war der industrielle wie pathologische Charakter dieses anhaltenden Baubooms im und rund um das einst kleine Fischerdorf so offenkundig, dass er in den Hochglanzprospekten der Touristik GmbH aufwändig kaschiert werden musste.
    Auf dem Weg zum alten Ysker verfiel er den drei Plattbodenschiffen, die im südlichen Teil des Hafens lagen. Die beiden größeren Besanewer, klassische Eineinhalbmaster mit imposanten Seitenschwertern, trugen niederländische Flaggen; die einmastige, etwa fünfzehn Meter lange Tjalk war in Deutschland beheimatet. Allen Schiffen waren die Gaffeltakelung und das flache Unterwasserschiff gemein. Greven schätzte das Alter der drei für den Einsatz im Wattenmeer gebauten Schiffe auf rund hundert Jahre. Alle waren hervorragend restauriert, so dass er einfach nicht von ihnen lassen konnte. Dabei waren sie keine Seltenheit in Greetsiel, denn der geschützte und tidenunabhängige Hafen wurde oft von den Eignern solcher Schiffe angelaufen, die fast immer aus den Niederlanden stammten. Greetsiel war ein attraktives Ziel für Freizeitkapitäne.
    Auf dem größten Ewer wurde gerade das Deck geschrubbt. Neben vier Erwachsenen konnte er auch zwei Kinder erkennen. Als sie ihn und seine Neugier bemerkten, winkten sie ihm zu. Nicht ohne Neid erwiderte er den Gruß von der Deichkrone aus. Auch die Frau auf der Tjalk hatte ihn bemerkt. Von der Freundlichkeit der Holländer getragen, winkte er auch ihr zu, doch die Frau sah ihn nur mürrisch an und verschwand unter Deck. Auf dem zweiten Ewer hantierten zwei Männer am Klüverbaum, der bei einigen Schiffen dieser Bauart hochgeklappt werden konnte. Sie warfen ihm einen kurzen Blick zu, bevor sie ihre Arbeit fortsetzen.
    Ein Schiff schöner als das andere, dachte Greven und stellte sich nicht zum ersten Mal eine längere Fahrt an Bord eines Ewers oder einer Tjalk vor. Von Hafen zu Hafen, und doch ohne wirkliches Ziel. Heute eine Insel, am Wochenende einen Sielhafen. Zwischendurch konnte man Makrelen angeln oder sich im Watt trockenfallen lassen. Da Plattbodenschiffe keinen Balkenkiel besaßen, wie faktisch alle anderen Segelschiffe, war dies jederzeit möglich. Das Schiff setzte einfach, ohne sich auf die Seite zu legen, auf dem Wattboden auf. Mühelos hielt der Rumpf den Belastungen stand. Bei Flut reichte ein guter Meter Wasser unter dem nicht vorhandenen Kiel, um die Fahrt fortzusetzen. Nie waren bessere Schiffe für das Watt gebaut worden.
    Bevor er den Jachthafen erreichte, drehte er um und schlenderte auf dem Deich noch einmal an den Schiffen vorbei zurück ins Dorf. Die Familie war noch immer hochaktiv, die Frau und die beiden Männer waren nicht mehr zu sehen. Die Schiffe setzten sich derart in seiner Fantasie fest, dass er das Alte Siel verfehlte und stattdessen über den Marktplatz in Richtung Kattrepel schlenderte, einem Ortsteil, der vorwiegend aus kleinen, alten Fischerhäusern bestand. Dank der Nachsaison kreuzten nur wenige Menschen seinen Weg. Im Kattrepel war er sogar ganz allein. Auf hoher See. Und reffte bei kräftigem Nordostwind das Focksegel. Gischt klatschte ihm ins Gesicht, Salz klebte auf der Haut. Er musste sich beeilen, denn das eingehakte Ruder hielt das Schiff nur grob auf Kurs. Dann lief er, kurz vor der noch immer geschlossenen Galerie Steenbikker , plötzlich auf Grund. Er

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