Knochenbrecher (German Edition)
hatte keine Sandbank erwischt, sondern ungewöhnlich anmutende Schritte, deren Rhythmus nicht in seinen Tagtraum passte. Er ging auf langsame Fahrt und stoppte schließlich. Die störenden Schritte verstummten abrupt. Weder vor noch hinter ihm war jemand zu sehen. Greven lachte kurz und schüttelte die See und den Anflug von Paranoia ab, den er auf den ausgefallenen Sommerurlaub und Monas Kur zurückführte.
Ein Blick auf die Uhr sagte ihm, dass es höchste Zeit wurde, den alten Ysker zu besuchen, wollte er seine Kollegen nicht warten lassen. Ohne Nordostwind, aber mit Neugier auf die Ergebnisse seines Teams marschierte er zurück in Richtung Hafen. Als er das Witthus passierte, beschlich ihn erneut das diffuse Gefühl, beobachtet zu werden. Schritte konnte er aus den Geräuschen, die nun von der Mühlenstraße verstärkt in den Kattrepel drangen, nicht herausfiltern. Er rang lediglich mit der vagen Ahnung, ein Augenpaar im Schlepptau zu haben. Dabei ärgerte er sich mehr über das unbestimmte Gefühl als über die Möglichkeit, tatsächlich verfolgt zu werden. Er weigerte sich, der Ahnung nachzugeben und sich blitzartig umzudrehen, konnte aber doch nicht widerstehen. Die schmale, geklinkerte Lohne hinter ihm war menschenleer, nur ein paar Ahornblätter tanzten über die roten Ziegel, als hätten sie sich einen Spaß mit ihm erlaubt. Grevens Ärger über sich selbst schwoll merklich an. Warum hatte er diesem blöden Gefühl bloß nachgegeben?!
Wütend drehte er sich um und stand unvermittelt vor Thea Woltke, der er fast in die Arme fiel. Die attraktive Dorfschöne hatte er in einem nicht lange zurückliegenden Fall als Zeugin vernommen.
»Beim letzten Mal waren Sie nicht so stürmisch, Herr Kommissar«, sang die langhaarige, dunkelblonde Frau mit heller Stimme und setzte ihre Wimpern in Bewegung.
»Entschuldigung«, sagte Greven und machte einen Schritt zurück, »ich war in Gedanken.«
»Hoffentlich in … angenehmen.«
»Kann man so nicht sagen«, gestand er, noch immer mit sich selbst hadernd.
»Vielleicht kann ich Sie auf andere Gedanken bringen? Ich wollte mir sowieso gerade einen Tee machen.«
Greven zögerte nur kurz. Doch es waren nicht alleine ihre großen, braunen Augen, die ihn dazu verführten, den alten Ysker zu versetzen, es war vor allem die ungewohnte Gefühlslage, in die er gerade geraten war. Noch dazu waren es bis zu Thea Woltkes kleinem Fischerhaus nur ein paar Schritte. Er lächelte sie an, nickte, zog das Handy aus der Tasche und löste die Tastensperre.
Ihr Wohnzimmer mit der niedrigen Decke hatte er noch gut in Erinnerung, insbesondere die vielen Landkarten, Landschaftsbilder und Portraits, die fast jeden Zentimeter der Wände bedeckten. Erbstücke, soweit er sich erinnern konnte. Während Woltke in ihrer kleinen Küche den Tee zubereitete, vertiefte er sich in eine der Karten, die ihn schon damals fasziniert hatten. Dann fiel sein Blick auf einen Handzettel, auf dem die von Thea Woltke gegründete esoterische Vereinigung Lü van Gordum für eine ihrer Veranstaltungen warb, ein Vortrag über heilige Linien und Erdstrahlen in Ostfriesland. Sein Knie kam ihm in den Sinn, das noch immer schmerzfrei war, obwohl er den Ring zu Hause im Flur hatte liegen lassen. Sein Blick wanderte weiter und verfing sich erneut in einer Karte, bis die Sirene mit dem Tee kam.
»Ein oder zwei Kandis?«
»Danke, einer reicht. Ich bin auf Diät.«
»Das haben Sie doch gar nicht nötig«, entgegnete Woltke schmeichelnd und goss den Tee ein.
»Rahm?«
»Sie meinen, echten Rahm?«
»Von bester Rohmilch. Darin bin ich sehr eigen.«
Mit einem kleinen, silbernen Schöpflöffel nahm sie behutsam den Rahm von der Milch und gab ihn ebenso behutsam auf den Tee. Besser hätte das der alte Ysker auch nicht hinbekommen. Der Rahm war noch kühl, als Greven die dünnwandige Tasse aus japanischem Porzellan an den Mund setzte.
»Was machen Ihre Gedanken nun?«, sang Woltke.
»Sind wieder auf Kurs«, antwortete Greven und lehnte sich auf dem Sofa zurück. Thea Woltke verstand es noch immer, Kleidungsstücke auszuwählen, die ihre atemberaubende Figur unübersehbar machten.
»Dann darf ich Sie vielleicht fragen, wie Sie vorankommen?«
»Viel haben wir noch nicht«, erklärte Greven, der mit dieser Frage gerechnet hatte. »Im Moment sind wir mit ihrem sozialen Umfeld beschäftigt. Familie, Nachbarn, Patienten. Kannten Sie Frau Bogena eigentlich?«
»Natürlich. Ich bin sogar zwei oder drei Mal bei ihr gewesen. Wegen
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