Knochenbrecher (German Edition)
der Kajüte«, sagte Suhrmann, machte einen Satz auf die geschlossenen Ladeluken und ging zum Heck.
»Ich komme mit, wenn Sie nichts dagegen haben«, schloss sich Greven an. Aline folgte ihnen wortlos.
Wenn das Schiff schon ein Traum war, so war die kleine Kajüte ein Paradieske, wie es auf Platt hieß, ein kleines Paradies. Die Arbeit, die es erschaffen hatte, konnte Greven nur ahnen. Noch dazu kippte die Idylle nicht ins Kitschige, sondern war bewusst schlicht gehalten worden. Bis zu den Gardinen war die Inneneinrichtung so nach seinem Geschmack, dass er nichts geändert hätte. Der Tisch war schmal, bot aber genug Platz für vier Personen. Die Wandvertäfelung war aus Mahagoni, die Armaturen, wie es sich gehörte, aus poliertem Messing. Das große Barometer hatten die Suhrmanns bestimmt nicht aus dem Katalog eines nautischen Ladens, es war eindeutig eine Antiquität und hatte wahrscheinlich schon so manchen Sturm an Bord eines größeren Schiffes überstanden. Frau Suhrmann kramte in einer Kiste und zog einen Leitzordner heraus, der in der Kajüte wie ein Fremdkörper wirkte.
»Hier drin sind die Unterlagen. Gehen wir wieder an Deck, hier ist es viel zu dunkel.«
Gerne hätte sich Greven länger umgesehen, aber er zog es vor, die beiden Frauen nicht aus den Augen zu lassen. Aline ging voraus, gefolgt von Suhrmann, die sich gleich hinter der Kajüte auf die Ladeluken setzte und in dem Ordner zu blättern begann.
»Ich hab’s gleich.«
Aline stellte sich neben Greven und wiederholte ihre Worte von vorhin: »So ein Quatsch. Du hast uns das ganze Wochenende versaut. Du hast unsere Freundschaft beschädigt. Weiß Mona eigentlich, was du hier treibst?«
»Sie ist drüben auf dem Kutter und macht sich Sorgen um dich.«
»Um mich? Die soll sich lieber Sorgen um dich machen. Wie bist du bloß darauf gekommen, Rita oder ich könnten etwas …?«
Greven spürte einen kräftigen, dumpfen Schlag in seinen Magen und ging rücklings über Bord. Seine rechte Hand griff noch nach der Reling, aber es war längst zu spät. Spuckend und hustend tauchte er aus dem kalten Wasser auf, denn der Sturz hatte ihm die Möglichkeit verwehrt, Luft zu holen. Er rieb sich die Augen und konnte erst dann sehen, wie vor ihm die Tjalk davonsegelte.
»Verdammte Scheiße!«, fluchte er und schlug mit der flachen Hand aufs Wasser. Er war wieder da, wo er am Anfang seiner Ermittlungsarbeit gewesen war, nur noch weiter vom Ufer entfernt. Die kleinen, aber gemeinen Wellen klatschten ihm ins Gesicht, er musste arbeiten, um sich über Wasser zu halten. Nach zwei Umdrehungen hatte er den Kutter ausgemacht und hob den Arm, doch Gosselar hatte bereits Kurs auf ihn genommen. Als er ein paar Schwimmzüge tat, um schneller an Bord zu gelangen, stieß er auf einen im Wasser treibenden Körper. Aline. Sie war nicht bei Bewusstsein. Greven gelang es, sie auf den Rücken zu drehen und ihren Kopf über Wasser zu halten. Ihr Körper wirkte völlig leblos. Die Wellen hörten nicht auf, sein Gesicht zu bearbeiten. Der Kutter war nicht mehr zu sehen. Sogar die Richtung, aus der er kommen musste, hatte Greven verloren. Obwohl höchstens ein oder zwei Minuten vergangen waren, spürte er den Kampf, den er um Aline führen musste. Er machte sich keine Illusionen darüber, wie lange er diesen Kampf durchhalten könnte, und war froh, dass er es nicht brauchte. Vor ihm schob sich die rote Bordwand der Jan Rasmus vorbei, an der eine Strickleiter hing. Hände streckten sich ihm entgegen. Er schlang den rechten Arm um Alines Brust und zog sie hinter sich die ersten drei Sprossen hoch, bevor die Hände sie erreichen konnten und nach oben zogen. Viel länger hätte er sie auch nicht halten können, denn die Kälte kroch längst durch seine Knochen. Mit langsamen Griffen hievte er sich an Bord.
Aline lag auf dem Deck und wurde von Mona mit Atemluft versorgt. Ohne Greven anzusehen, holte sie tief Luft und blies sie in die Lungen der Bewusstlosen. Der Fischer stand bereits wieder am Ruder, denn das Wattenmeer war ein gefährliches Gewässer. Nordsee ist Mordsee. Nur Landratten hielten das Sprichwort für eine leere Drohung. Ein Zittern durchlief Grevens Körper. Die Kälte war nicht im Wasser geblieben.
»Soll ich dich ablösen?«, fragte er mit vibrierenden Lippen.
Mona gab keine Antwort, sondern pumpte weiter Luft in Alines Lungen. Sie unterbrach ihren Rhythmus und massierte ruckartig ihr Herz: »Wach auf Aline, verdammt noch mal! Wach auf!«
Mona beugte sich wieder
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