Knochenbrecher (German Edition)
Quatsch! Und jetzt lass sie bitte in Ruhe. Sie hat genug durchgemacht. Ruf dein Taxi und verschwinde!«
»So einfach ist das nicht, Aline!«, entgegnete Greven, jetzt ebenfalls mit lauter Stimme, und sprach Frau Suhrmann an, die noch kein Wort gesagt hatte: »Wo waren Sie am Samstag, den 25. August, um 11.30 Uhr?«
»Bei mir!«, antwortete Aline wie aus der Pistole geschossen. »So, und jetzt verschwinde endlich!«
»Überleg dir die Antwort noch mal, Aline«, sagte Greven.
»Du jagst mir keine Angst ein!«
»Vielleicht doch. Falschaussage, Irreführung der ermittelnden Behörden und Beihilfe zur Vertuschung einer Straftat. Also, Frau Suhrmann, wo waren Sie …?«
»Auf der Bootsmesse in Delfzijl. Ich wollte wissen, wie viel mein Schiff wert ist, denn ich weiß nicht, ob ich es halten kann. Seit mein Mann tot ist, kämpfe ich gegen den Untergang.«
»Rita!«, rief Aline.
»Können Sie das beweisen?«, fragte Greven, der das schwankende Deck unter seinen Füßen spürte.
»Ich habe die Unterlagen in der Kajüte. Ein Makler hat mir ein Angebot gemacht. Gar nicht so schlecht. Wir treffen ihn übermorgen in Schiermonnikoog. Er will sich das Schiff ansehen.«
»Davon hast du gar nichts erzählt«, sagte Aline.
»Ich hätte es dir schon erzählt. Ich wollte uns nicht das Wochenende …«
In diesem Moment fuhr Grevens Hand ans Knie. Es war der fast schon vergessene Dauerschmerz, den er seit dem Bad im Hafenbecken nicht mehr gespürt hatte. Greven war fast erleichtert, ganz so, als hätte er etwas Verlorenes überraschend wiedergefunden. Wahrscheinlich hatte der Sprung den Schmerz aus seiner Lethargie befreit. Die willkommene Ablenkung währte nur Sekunden, dann war er wieder ganz an Bord der Tjalk, deren Takelage im Gegenwind ächzte. Eine Gruppe von Möwen flog über das Schiff und schrie. Ein vertrautes Geräusch, vertraut wie der Schmerz, an dem er sich jetzt wieder festhalten konnte.
»Sind Sie sich sicher?«, hakte Greven nach. »Waren Sie an dem besagten Samstag wirklich nicht in Greetsiel?«
»Ich kann Ihnen die Unterlagen zeigen«, versicherte Suhrmann und wandte sich fast beiläufig Aline zu. »Aber mir fällt gerade ein, warst du nicht an dem Tag in Greetsiel? Du wolltest doch Fisch kaufen? Für unser Essen am Sonntag?«
Nicht nur das Knie meldete sich zurück, sondern auch sein Magen, mit dem die Tjalk zu spielen begonnen hatte. Sein Traumschiff. Kein Wunder, dass Suhrmann schnell einen Makler gefunden hatte. Die beiden Frauen sahen sich mit völlig veränderten Blicken an.
»Sag mal, spinnst du jetzt auch? Ich bin doch samstags immer im Laden!«, wehrte sich Aline.
»So wie diesen Samstag«, konterte Greven.
»Ich wusste es. Erst waren es die Wunderheiler, jetzt hat er uns ganz oben auf seine lange Liste gesetzt. Ich hab schon so etwas geahnt, als du bei mir im Laden warst und mich so komisch angesehen hast. Wahrscheinlich, weil der Tipp mit Frau Bogena von mir war. Rita, und du lieferst ihm auch noch so eine Vorlage!«
»Aber ich hab doch nur …, und du warst doch wirklich …«, erwiderte Suhrmann überrascht.
»Rita, jetzt reicht es aber! Wenn du nicht sofort …«
»Bitte, meine Damen, so kommen wir nicht weiter«, unterbrach Greven den aufkeimenden Streit. »Außerdem rammen wir gleich den Pilsumer Leuchtturm. Wir sollten wenden und für ein paar Seemeilen mit dem Wind fahren. Ich geh ans Ruder.«
Die beiden Frauen sahen kurz zum Leuchtturm rüber, nickten wortlos und machten sich an die Arbeit, während Greven zum Heck ging. Wenigstens für Minuten erfüllte sich sein Traum. Das Schiff gehorchte seinen Befehlen und folgte der Ruderbewegung, als wäre es schon immer unter seinem Kommando gefahren. Er musste nur aufpassen, dass ihn der Baum nicht erwischte.
Fast hätte er Alfred Gosselar vergessen, doch als er zur Seite sah, tauchte der Kutter neben ihm auf. Mona war nicht zu sehen. Er hätte bei ihr bleiben sollen. Er hätte gar nicht erst auslaufen sollen. Er hätte …
27
Als das Manöver beendet war, fixierte er das Ruder wieder und erreichte mit wenigen Schritten die Frauen, deren Mienen sich verfinstert hatten.
»Aline, nur aus reiner Routine: Warst du an dem Samstag in Greetsiel?«
»Mit Sicherheit nicht. Denn dann hätte ich das mit dem Mord ja bestimmt mitgekriegt. Ich war im Laden!«
»Gut. Belassen wir es erst mal dabei. Frau Suhrmann, zeigen Sie mir bitte die Messeunterlagen. Wenn die in Ordnung sind, verschwinde ich sofort wieder.«
»Ich hole sie aus
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