Knochenbruch
draußen im Hof; es war Abendstallzeit, und ich sah mir die Pferde noch einmal an. Mit Etty neben mir war ich gerade bis in die fünfte Stallgasse gekommen, von wo aus wir um den unteren Hof herumgehen wollten, um uns wieder bis zum Haus hinaufzuarbeiten.
Einer der fünfzehnjährigen Lehrjungen kam nervös auf uns zu, als wir aus einer Box heraustraten und gerade in die nächste hinein wollten.
»Da möchte jemand mit Ihnen sprechen, Sir.«
»Wer?«
»Weiß ich nicht, Sir.«
»Ein Besitzer?«
»Weiß ich nicht, Sir.«
»Wo ist er?«
»Oben in der Einfahrt, Sir.«
Ich schaute über seinen Kopf hinweg. Auf der anderen Seite des Hofs, draußen auf dem Kies, parkte ein großer, weißer Mercedes mit einem uniformierten Chauffeur, der neben der Motorhaube stand.
»Machst du weiter, Etty, ja?« sagte ich.
Ich ging über den Hof und hinauf zur Einfahrt. Der Chauffeur verschränkte die Arme vor der Brust und verkniff die Lippen, wie um sich gegen jede Verbrüderung zu verbarrikadieren. Ich blieb ein paar Schritte von ihm entfernt stehen und schaute in das Innere des Wagens.
Eine der hinteren Türen, diejenige, die mir am nächsten war, öffnete sich. Ein kleiner, schwarzbeschuhter Fuß erschien, dann ein dunkles Hosenbein und schließlich nach und nach der ganze Mann.
Es war mir sofort klar, wer er war, obwohl die Ähnlichkeit mit seinem Vater sich auf den autokratischen Höcker auf der Nase und die steinerne Unerschütterlichkeit in seinen schwarzen Augen beschränkte. Der Sohn war ein wenig kleiner und ausgesprochen mager, nicht dick. Seine Haut war fahl und schien dringend etwas Sonne zu benötigen, und sein dichtes, schwarzes Haar kräuselte sich in elastischen Locken um seine Ohren. Seine ganze Erscheinung war von einer beunruhigenden Reife, und die starre Entschlossenheit seines Mundes hätte einer Stahlfalle Ehre gemacht. Er mochte zwar erst achtzehn Jahre alt sein, aber es war lange her, daß er ein Junge gewesen war.
Ich schätzte, daß seine Stimme wie die seines Vaters sein würde; kategorisch, akzentfrei und argwöhnisch.
Es stimmte.
»Ich bin Rivera«, verkündete er. »Alessandro.«
»Guten Abend«, sagte ich, und es sollte höflich, kühl und unbeeindruckt klingen.
Er blinzelte.
»Rivera«, wiederholte er. »Ich bin Rivera.«
»Ja«, stimmte ich ihm zu. »Guten Abend.« Er sah mich mit wachsender Aufmerksamkeit an. Wenn er erwartet hatte, daß ich vor ihm im Staube kriechen würde, stand ihm eine Enttäuschung bevor. Und meine Haltung mußte ihm ein wenig von dieser Botschaft übermittelt haben, denn er sah plötzlich gelinde überrascht und noch eine Spur arroganter aus.
»Ich höre, Sie haben den Wunsch, Jockey zu werden«, sagte ich.
»Die Absicht.«
Ich nickte lässig. »Niemand hat Erfolg als Jockey ohne Entschlossenheit«, sagte ich und ließ meine Worte herablassend klingen.
Er hörte den Unterton augenblicklich heraus. Er gefiel ihm nicht. Das freute mich. Aber es war nur ein winziger, unbedeutender Widerstand, den ich zeigte, und an seiner Stelle hätte ich ihn lediglich als Beweis frustrierter Kapitulation betrachtet.
»Ich bin gewohnt, Erfolg zu haben«, sagte er.
»Wie überaus erfreulich«, erwiderte ich trocken.
Damit war eine absolute Feindseligkeit zwischen uns besiegelt. Ich spürte förmlich, wie er den Overdrive einlegte, und mir schien, daß er sich geistig darauf einstellte, für sich selbst die Schlacht auszufechten, von der er überzeugt gewesen war, daß sein Vater sie bereits gewonnen hatte.
»Ich werde sofort anfangen«, sagte er.
»Ich bin mitten in der Abendstallzeit«, erwiderte ich sachlich. »Wenn Sie warten wollen, können wir Ihre Angelegenheit besprechen, wenn ich fertig bin.« Ich ließ ihm die Höflichkeit einer Neigung meines Kopfes zuteil werden, die ich auch jedem anderen erwiesen hätte, und ohne darauf zu warten, daß er sein dürftiges Gewicht noch weiter in die Waagschale warf, drehte ich mich gelassen um und ging ohne Hast zurück zu Etty.
Nachdem wir uns methodisch durch den ganzen Stall gearbeitet hatten, wobei wir kurz die Fortschritte eines jeden Pferdes diskutierten und das Arbeitsprogramm für den folgenden Morgen planten, kamen wir schließlich zu den vier Außenboxen, von denen jetzt nur noch drei besetzt waren, während die vierte voll von Moonrocks Abwesenheit war.
Der Mercedes stand noch immer auf dem Kies; Rivera und der Chauffeur waren wieder eingestiegen. Etty sah mit verhaltener Neugier zu ihnen hinüber und fragte, wer
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