Knochenbruch
sie seien.
»Neuer Kunde«, sagte ich sparsam.
Sie runzelte überrascht die Stirn. »Aber Sie hätten ihn nicht warten lassen sollen!«
»Der da«, versicherte ich ihr mit kläglicher Ironie, »wird nicht weggehen.«
Aber Etty wußte, wie man neue Kunden behandelte, und sie im Wagen warten zu lassen, war nicht das richtige. Sie scheuchte mich durch die letzten drei Boxen und drängte mich ängstlich, zu dem Mercedes zurückzukehren. Morgen würde sie zweifellos nicht mehr so zuvorkommend sein.
Ich öffnete die hintere Tür und sagte zu ihm: »Kommen Sie mit ins Büro.«
Er stieg aus dem Wagen und folgte mir wortlos. Ich stellte den Heizlüfter ein, setzte mich auf Margarets Stuhl hinter dem Schreibtisch und zeigte auf den drehbaren Sessel davor. Er erhob keine Einwände, sondern folgte lediglich meiner Aufforderung.
»Also«, sagte ich mit meiner besten Personalchefstimme, »Sie wollen morgen anfangen.«
»Ja.«
»In welcher Eigenschaft?«
Er zögerte. »Als Jockey.«
»Das geht nicht«, sagte ich vernünftig. »Es finden noch keine Rennen statt. Die Saison beginnt erst in vier Wochen.«
»Das weiß ich«, sagte er steif.
»Was ich meinte, war: Wollen Sie im Stall arbeiten? Wollen Sie sich wie die anderen um zwei Pferde kümmern?«
»Ganz bestimmt nicht.«
»Aber was wollen Sie dann?«
»Ich werde die Pferde zwei- oder dreimal am Tag beim Training reiten. Jeden Tag. Ich werde weder ihre Boxen säubern noch ihr Futter schleppen. Ich wünsche lediglich zu reiten.«
Damit würde er sich ungemein beliebt machen, sowohl bei Etty als auch bei den anderen Pflegern. Abgesehen von allem anderen würde ich in Null Komma nichts eine Arbeiter-Management-Konfrontation am Hals haben oder, um es mit einem schlichten, alten Wort auszudrücken, eine Meuterei. Keiner der anderen Pfleger würde die Box eines Pferdes ausmisten und putzen, nur um des Vergnügens willen, Rivera darauf reiten zu sehen.
Alles, was ich sagte, war jedoch: »Wieviel Erfahrung haben Sie bisher sammeln können?«
»Ich kann reiten«, sagte er kategorisch.
»Rennpferde?«
»Ich kann reiten.«
So kamen wir nicht weiter. Ich versuchte es noch einmal.
»Haben Sie jemals irgendein Rennen geritten?«
»Ich habe Amateurrennen geritten.«
»Wo?«
»In Italien und in Deutschland.«
»Schon mal was gewonnen?«
Er warf mir einen finsteren Blick zu. »Ich habe zwei Rennen gewonnen.«
Das war wohl besser als nichts. Zumindest hieß es, daß er oben bleiben konnte. Das Gewinnen an sich hatte in seinem Fall keine Bedeutung. Sein Vater war der Typ, der den Favoriten kaufte und den Gegner lahmlegte.
»Aber Sie wollen das Reiten jetzt zu Ihrem Beruf machen?«
»Ja.«
»Dann werde ich eine Lizenz für Sie beantragen.«
»Das kann ich selbst tun.«
Ich schüttelte den Kopf. »Sie benötigen eine Lehrlingslizenz, und die werde ich für Sie beantragen.«
»Ich habe nicht den Wunsch, eine Lehre zu machen.«
Geduldig sagte ich: »Wenn Sie kein Lehrling sind, können Sie keine Gewichtserlaubnis beantragen. In England ist es so, daß bei den Flachrennen nur Lehrlinge eine Gewichtserlaubnis erhalten. Ohne Gewichtserlaubnis werden sich die Besitzer der Pferde energisch jedem Vorschlag widersetzen, Sie reiten zu lassen. Ohne Gewichtserlaubnis können Sie, um genau zu sein, die ganze Idee fallenlassen.«
»Mein Vater …«, begann er.
»Ihr Vater kann mir drohen, bis er blau im Gesicht ist«, unterbrach ich ihn. »Ich kann die Besitzer nicht zwingen , Sie zu engagieren, ich kann sie nur überreden. Ohne Gewichtserlaubnis werden sie sich nicht überreden lassen.«
Er dachte mit vollkommen ausdrucksloser Miene darüber nach.
»Mein Vater sagte mir, daß jeder eine Lizenz beantragen könne und daß keine Notwendigkeit bestehe, dafür eine Lehre zu absolvieren.«
»Rein technisch gesehen trifft das zu.«
»Aber praktisch tut es das nicht.« Es war eher eine Feststellung als eine Frage: Er hatte eindeutig verstanden, was ich gesagt hatte.
Ich begann, über das Ausmaß seiner Entschlossenheit zu spekulieren. Es erschien durchaus möglich, daß er, wenn er erst den Lehrvertrag gelesen hatte und sah, wozu er sich damit verpflichtete, möglicherweise einfach wieder in sein Auto stieg und davonbrauste. Ich fischte aus einer von Margarets ordentlichen Schreibtischschubladen eine Kopie des gedruckten Dokuments heraus.
»Sie werden das hier unterschreiben müssen«, sagte ich beiläufig und reichte es ihm hinüber.
Er las es, ohne mit der Wimper zu zucken, und
Weitere Kostenlose Bücher