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Knochenbruch

Knochenbruch

Titel: Knochenbruch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dick Francis
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Unterschriften von Alessandro Rivera und Enzo Rivera mit jeweils einem Zeugen standen genau an den für sie vorgesehenen Stellen.
    Ich betrachtete die kühnen, schweren Schwünge der beiden Riveras und die nervösen Züge der Zeugen. Sie hatten das Dokument unterschrieben, ohne eine einzige der leeren Stellen auszufüllen, ohne über die Dauer der Lehrzeit oder den zu zahlenden Wochenlohn auch nur zu diskutieren.
    Er beobachtete mich. Ich sah ihm in seine kalten schwarzen Augen.
    »Sie und Ihr Vater haben das Dokument unterzeichnet«, sagte ich langsam, »weil Sie nicht die geringste Absicht haben, sich an die Vereinbarungen zu halten.«
    Sein Gesichtsausdruck blieb unverändert. »Denken Sie, was Sie wollen«, sagte er.
    Genau das würde ich auch tun. Und was ich dachte, war, daß der Sohn nicht so kriminell war wie sein Vater. Der Sohn hatte die gesetzlichen Verpflichtungen des Lehrvertrages ernst genommen. Sein Vater nicht.

4
     
    Das kleine Privatzimmer des im Norden Londons gelegenen Krankenhauses, in das man meinen Vater nach dem Unfall gebracht hatte, schien beinahe vollkommen ausgefüllt zu sein mit den Gestellen und Stricken und Streckapparaten und Gewichten, die sein extra hohes Bett verzierten. Abgesehen von all dem gab es nur ein Fenster mit hohem Sims und schlaffen Blumenvorhängen sowie die Aussicht auf die Hälfte der Rückseite eines anderen Gebäudes und ein Fitzelchen Himmel, ein brusthohes Waschbecken mit hebelbewehrten Wasserkränen, die so gemacht waren, daß man sie auch mit den Ellbogen bedienen konnte, ferner einen Nachttisch, auf dem in einem Glas Wasser seine unteren Zähne ruhten, und eine Art Sessel für Besucher.
    Vor den margarinefarbenen Wänden leuchteten keine Blumen, und keine Karten mit Genesungswünschen prangten auf dem Nachttisch. Er machte sich nichts aus Blumen und hätte jeden Strauß gleich auf eine andere Station verbannt, und ich bezweifelte, daß irgend jemand den Fehler begehen würde, ihm mit einer Hochglanz- oder Witzkarte gute Besserung wünschen zu wollen, etwas, das er als geradezu entsetzlich vulgär betrachtet hätte.
    Das Zimmer selbst war dürftig im Vergleich zu dem, was er sich ausgesucht hätte oder sich hätte leisten können, aber das Krankenhaus selbst hatte in jenen kritischen ersten Tagen den Eindruck effizienter Routiniertheit gemacht. Hier hatten sie es schließlich, wie einer der Ärzte mir beiläufig erklärte, ständig mit zertrümmerten Körpern aus Autounfällen auf der A I zu tun. Sie waren daran gewöhnt. Dafür ausgerüstet. Der Anteil an Unfallopfern überstieg den der normalen Patienten.
    Der Arzt hielt es für einen Fehler, auf Privatbehandlung für meinen Vater zu bestehen, und er erklärte mir, daß die Sekunden auf der allgemeinen Station, wo immer viel los war, nicht ganz so zäh dahintickten, aber ich hatte ihm versichert, daß er meinen Vater nicht kannte. Er hatte mit den Schultern gezuckt und nachgegeben, aber hinzugefügt, daß die Privatzimmer nichts Besonderes seien. Waren sie auch nicht. Sie waren nicht zum Verweilen, sondern eher zum Davonlaufen, sofern man das konnte.
    Als ich meinen Vater an diesem Abend besuchte, schlief er. Die verheerenden Auswirkungen der Schmerzen der vergangenen Woche hatten die Linien um seine Augen tiefer und dunkler werden lassen und seine Haut grau gefärbt, und er sah auf eine Art und Weise schutzlos aus, wie er es in wachem Zustand niemals tat. Die herrische Starre seines Mundes war gelöst, und mit geschlossenen Augen schien er nicht mehr neunzehn Zwanzigstel dessen, was geschah, zu mißbilligen. Eine Locke grauweißen Haares fiel weich über seine Stirn und gab ihm ein freundliches, sanftes Aussehen. Das war hoffnungslos irreführend.
    Er war kein netter Vater gewesen. Ich hatte den größten Teil meiner Kindheit damit verbracht, ihn zu fürchten, den größten Teil meiner Jugend damit, ihn zu verachten, und erst seit einigen, sehr wenigen Jahren war es mir möglich, ihn zu verstehen. Die Härte, mit der er mich behandelt hatte, war nicht Zurückweisung oder Ablehnung gewesen, sondern Folge eines Mangels an Phantasie und der Unfähigkeit zu lieben. Er hatte nicht an Prügel geglaubt, aber er hatte verschwenderisch andere Strafen ausgeteilt – Liebesentzug und Einsamkeit –, ohne zu begreifen, daß für mich eine Qual war, was für ihn eine Nichtigkeit gewesen wäre. Einen Jungen drei oder vier Tage hintereinander in seinem Zimmer einzusperren konnte vielleicht nicht als echte Grausamkeit

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