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Knochenbruch

Knochenbruch

Titel: Knochenbruch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dick Francis
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von einer Million wirklich verdient. Der Tod an sich war etwas Unfaires, aber in mancher Gestalt eben unfairer als in anderen. Mord, so erschien es mir mit Nachdruck, war die unfairste Todesart von allen.
    Alles, was er am Ende – in milderem Ton – sagte, war: »Wer wird in diesem Sommer die Pferde trainieren, wenn es Ihrem Vater nicht gut genug geht?«
    Nur lange Erfahrung mit gerissenen Verhandlungspartnern, die mit großen Drohungen um sich warfen, so daß sie ihre eigentlichen Ziele erreichen konnten, indem sie sie als harmlose Nebensächlichkeit präsentierten, bewahrte mich davor, ins offene Messer zu laufen. Um ein Haar und aus Erleichterung über eine so arglose Frage hätte ich ihm die Wahrheit gesagt: daß darüber noch nicht entschieden war. Wenn ich das getan hätte, so begriff ich später, hätte er mich erschossen, denn was er wollte, ging ausschließlich den augenblicklichen Trainer von Rowley Lodge an. Temporäre Stellvertreter, irrtümlich entführt, waren zu gefährlich, als daß man sie frei herumlaufen und alles mögliche erzählen lassen konnte.
    Instinktiv antwortete ich also: »Ich werde sie selbst trainieren«, obwohl ich nicht die geringste Absicht hatte, dies länger zu tun, als ich brauchte, um jemand anderes zu finden.
    Es war tatsächlich die entscheidende Frage gewesen. Der furchteinflößende schwarze Kreis des Schalldämpferlaufs senkte sich um einen Bruchteil, wurde zur Ellipse, verschwand vollkommen. Er legte die Waffe auf seinen Schoß und balancierte sie auf einem wohlgepolsterten Oberschenkel.
    Mein Atem hob und senkte meine Brust in hektischen Stößen, und die Lösung der unmittelbaren Anspannung verursachte mir Übelkeit. Nicht, daß plötzlich absolute Sicherheit als Verheißung am Horizont aufgeflackert wäre. Ich war immer noch gefesselt und in einem fremden Haus, und ich hatte immer noch keine Ahnung, zu welchem möglichen Zweck ich als Geisel dienen konnte.
    Der dicke Mann beobachtete mich weiter. Dachte weiter nach. Ich versuchte, die Steifheit, die in meine Muskeln kroch, zu mildern, versuchte, die unbedeutenden Schmerzen und das pochende Kopfweh auszublenden, die ich nicht im geringsten wahrgenommen hatte, solange ich einer noch größeren Bedrohung gegenübergestanden hatte.
    Im Zimmer war es kalt. Die Gummigesichter schienen es mollig warm zu haben in ihren Masken und Handschuhen, und der dicke Mann war gut isoliert und unempfindlich, aber in meinem Falle trug die Kälte eindeutig das Ihre zu meinem Jammer bei. Ich fragte mich, ob die Kälte als psychologische Einschüchterungsmaßnahme für meinen schon älteren Vater geplant oder ob sie einfach nur Zufall war. Nichts in dem Raum machte einen gemütlichen, bewohnten Eindruck.
    Alles in allem war es ein Mittelklassewohnzimmer in einem kleinen Mittelklassehaus, erbaut, so schätzte ich, in den dreißiger Jahren. Man hatte die Möbel vor die gestreifte, cremefarbene Tapete geschoben, um dem dicken Mann ausreichenden Handlungsspielraum zu geben: Möbel, die aus einer phantasielosen dreiteiligen, mit rosafarbenem Chintz bezogenen Sitzgarnitur bestanden, einem Klapptisch, einer Stehlampe mit pergamentfarbenem Schirm und einer Glasvitrine mit gähnender Leere hinterm Glas. Auf dem auf Hochglanz gebrachten Birkenparkett lagen keine Teppiche, es gab keinen Schnickschnack, keine Bücher, keine Zeitschriften, überhaupt nichts Persönliches. So kahl wie die Seele meines Vaters, aber nicht sein Geschmack.
    Der Raum paßte nicht im geringsten zu dem, was ich bisher von der Persönlichkeit des dicken Mannes gesehen hatte.
    »Ich werde Sie freilassen«, sagte er, »unter gewissen Bedingungen.«
    Ich wartete. Er schätzte mich ab und ließ sich immer noch Zeit.
    »Wenn Sie meine Anweisungen nicht aufs genaueste befolgen, werde ich Ihren Vater ruinieren.«
    Ich spürte, wie mein Mund sich erstaunt öffnete. Ich klappte ihn wieder zu.
    »Ich nehme an, Sie bezweifeln, daß ich das tun könnte. Zweifeln Sie nicht. Ich habe schon Besseres zerstört als den kleinen Reitstall Ihres Vaters.«
    Ich reagierte nicht auf die Stichelei mit dem Wort »klein«. Vor Jahren schon hatte ich gelernt, daß man sich, wenn man auf Sticheleien reagiert, eine Verteidigungshaltung aufzwingen läßt, die nur dem Gegner nutzt. In Rowley Lodge standen, wie er zweifellos wußte, fünfundachtzig Vollblüter, deren Gesamtwert sechs Millionen Pfund überstieg.
    »Wie?« fragte ich ohne Umschweife.
    Er zuckte mit den Schultern. »Was wichtig für Sie ist, ist

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