Knochenbruch
erkundigte ich mich im Plauderton, während wir an Wetherby vorbeisausten.
Er sah mich an, als sei diese Möglichkeit etwas ganz Neues für ihn. »Nein«, sagte er. »Es war Archangel, den ich reiten wollte. Den Favoriten. Ich wollte das Derby gewinnen, und Archangel ist der Beste. Und alles Geld in der Schweiz würde nicht reichen, um Archangel zu kaufen.«
Das stimmte, denn der Hengst gehörte einem großen Sportsmann, einem achtzigjährigen Bankier, dessen lebenslänglicher Ehrgeiz es gewesen war, das große Rennen zu gewinnen. Seine Pferde waren dort in den vergangenen Jahren als Zweite oder Dritte eingelaufen, und er hatte jedes andere wichtige Rennen im Rennkalender gewonnen, aber der absolute Triumph war ihm immer verwehrt geblieben. Archangel war das beste Pferd, das er je besessen hatte, und seine Zeit wurde langsam knapp.
»Außerdem«, fügte Alessandro hinzu, »gibt mein Vater kein Geld für etwas aus, das er genausogut mit einer Drohung erreichen kann.«
Wie gewöhnlich, wenn er von dem modus operandi seines Vaters sprach, betrachtete er das, was er sagte, als selbstverständlich und empfand seine Worte nichts als logisch.
»Denken Sie jemals objektiv über Ihren Vater nach?« fragte ich. »Darüber, wie er seine Ziele erreicht, und darüber, ob diese Ziele an sich in irgendeiner Hinsicht ehrenwert sind?«
Er sah mich verwirrt an. »Nein …«, erwiderte er unsicher.
»Wo sind Sie übrigens zur Schule gegangen?« fragte ich, um es mal mit etwas anderem zu versuchen.
»Ich bin nicht zur Schule gegangen«, sagte er. »Ich hatte zwei Lehrer zu Hause. Ich wollte nicht zur Schule. Ich wollte mich nicht herumkommandieren lassen und den ganzen Tag arbeiten müssen …«
»Also haben Ihre beiden Lehrer viel Zeit mit Däumchendrehen verbracht?«
»Däumchen …? O ja, ich denke schon. Der englische Lehrer ist für gewöhnlich einfach verschwunden, um auf irgendwelche Berge zu klettern, und der italienische war hinter den einheimischen Mädchen her.« In seiner Stimme lag jedoch kein Humor. Das tat es nie. »Sie sind beide gegangen, als ich fünfzehn war. Sie sind gegangen, weil ich den ganzen Tag über meine beiden Pferde ritt und mein Vater meinte, es habe keinen Sinn, zwei Hauslehrer statt eines Reitlehrers zu bezahlen … Also hat er einen alten Franzosen eingestellt, der Ausbilder bei der Kavallerie gewesen war, und dieser Mann hat mir beigebracht, besser zu reiten. Ich war auch viel bei einem Bekannten meines Vaters, und auf seinen Pferden bin ich oft zur Jagd geritten … Bei diesen Gelegenheiten habe ich auch einige Rennen gewonnen. Vier oder fünf. Es gab nicht viele Gelegenheiten für Amateure. Es hat mir gefallen, aber es war ganz anders als jetzt … Und dann, als ich eines Tages zu Hause sagte, ich hätte Langeweile, meinte mein Vater, na schön, Alessandro, sag, was du dir wünschst, und ich werde es dir beschaffen, und plötzlich kam mir Archangel in den Sinn, und ich habe einfach gesagt, einfach so, ohne richtig nachzudenken: ›Ich möchte das Englische Derby auf Archangel gewinnen …‹ Und er hat nur gelacht, wie er’s manchmal tut, und gesagt, das sei kein Problem.«
Er hielt inne. »Ich habe ihn natürlich gefragt, ob er das ernst meinte, denn je mehr ich darüber nachdachte, um so mehr wurde mir klar, daß es nichts auf der Welt gab, was ich lieber wollte. Nichts auf der Welt. Er hat immer wieder gesagt, alles zu seiner Zeit, aber ich brannte darauf, endlich nach England zu kommen und anzufangen, und als er dann irgendwelche Geschäfte erledigt hatte, kamen wir.«
Ungefähr zum zehnten Mal drehte er sich auf seinem Sitz um, um durchs Rückfenster zu blicken. Carlo war immer noch da und folgte uns getreulich.
»Morgen«, sagte ich, »kann er uns wieder folgen, nach Liverpool. Außer Buckram, den wir morgen für Sie haben, haben wir noch fünf andere Starter bei dem Rennen, und ich bleibe noch drei Tage dort. Ich werde nicht mit Ihnen nach Teesside kommen, wo Sie Lancat reiten werden.«
Er machte den Mund auf, um zu protestieren, aber ich sagte: »Vic Young wird Lancat begleiten. Er erledigt den ganzen technischen Kram. Es ist das große Rennen des Nachmittags, wie Sie wissen, und Sie werden gegen sehr erfahrene Jockeys reiten. Aber Sie müssen nichts anderes tun, als ruhig auf den Hengst zu steigen, ihn in die richtige Richtung zu lenken und ihm zu sagen, wohin er laufen soll. Und wenn er gewinnt, posaunen Sie um Gottes willen nicht überall herum, wie toll Sie doch sind.
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