Knochenbruch
Geschwindigkeit aus dem Tier heraus, die dieses hätte erreichen können.
Als er abstieg, wich er meinem Blick aus, und nachdem Tommy Hoylake das Great Met gewonnen hatte (zu Traffics Überraschung genausosehr wie zu meiner), war er für den Rest des Tages nicht mehr zu sehen.
Alessandro ritt in dieser Woche noch vier weitere Rennen und zeigte in keinem einzigen sein früheres Flair. Er verlor das Lehrlingsrennen in Epsom durch ein himmelschreiend schlechtes Timing, indem er das ganze Feld eine halbe Meile vorm Ziel davonziehen ließ und dann den dritten Platz um Kopfeslänge verpaßte, obwohl er im Finish schneller geritten war als zu irgendeiner anderen Zeit des Rennens.
Die beiden Besitzer, für die er am Samstag in Sandown ritt, verkündeten, nachdem er auf ihren geliebten und teuren Dreijährigen im Mittelfeld versackt war, daß er ihrer Meinung nach nicht so gut sei, wie ich behauptet habe, daß mein Vater es besser gewußt hätte und daß sie nächstes Mal einen anderen Jockey wollten.
Ich gab diese Bemerkungen an Alessandro weiter, indem ich in der Umkleidekabine nach ihm schickte und schließlich im Waageraum mit ihm sprach. Mittlerweile bekam ich nur noch selten Gelegenheit, irgendwo anders mit ihm zu reden. Er war vormittags ausgesprochen hölzern und verschwand sofort, nachdem er abgestiegen war, und bei den Rennen wurde er pausenlos von Enzo und Carlo flankiert, die ihn wie Wachposten überallhin begleiteten.
Er hörte mir voller Verzweiflung zu. Er wußte, daß er schlecht geritten war, und unternahm keinen Versuch, sich zu rechtfertigen. Alles, was er sagte, nachdem ich mit ihm gesprochen hatte, war: »Kann ich Archangel im Guineas reiten?«
»Nein«, sagte ich.
Die schwarzen Augen in dem unglücklichen Gesicht brannten.
»Bitte«, flehte er leidenschaftlich, »bitte sagen Sie, ich kann ihn reiten. Ich bitte Sie.«
Ich schüttelte den Kopf.
»Begreifen Sie denn nicht.« Er flehte mich an; aber ich wollte und konnte ihm nicht geben, was er sich wünschte.
»Wenn Ihr Vater Ihnen alles gibt, worum Sie ihn bitten«, sagte ich langsam, »dann bitten Sie ihn, wieder in die Schweiz zu fahren und Sie allein zu lassen.«
Nun war es an ihm, den Kopf zu schütteln, aber es war Hilflosigkeit, nicht Trotz, was aus dieser Geste sprach.
»Bitte«, sagte er noch einmal, aber ohne jede Hoffnung in der Stimme. »Ich muß … Archangel reiten. Mein Vater glaubt, Sie würden es mir erlauben, obwohl ich ihm gesagt habe, daß Sie das nicht tun würden … Ich habe solche Angst, daß er, wenn Sie es nicht tun, den Stall zerstören wird … Und dann werde ich keine Rennen mehr reiten können … Und das wäre … furchtbar …«
Mit letzter Kraft brachte er seinen Satz zu Ende.
»Sagen Sie ihm«, meinte ich ohne besonderen Nachdruck, »daß Sie ihn, wenn er den Stall zerstört, für alle Zeit hassen werden.«
Er sah mich wie betäubt an. »Ich glaube, das würde ich wirklich tun«, erwiderte er.
»Dann sagen Sie es ihm, bevor er es tut.«
»Ich werde …« Er schluckte. »Ich werde es versuchen.«
Am nächsten Morgen erschien er nicht zur Arbeit; es war das erste Mal, seit er abgeworfen worden war, daß er einen Vormittag versäumte. Etty meinte, es sei langsam Zeit, daß einige der anderen Lehrlinge mehr Chancen bekämen als die wenigen, die ich ihnen gegeben hatte, und ließ durchblicken, daß ihre früheren Ressentiments gegenüber Alessandro mit aller Macht zurückgekehrt waren.
Ich stimmte ihr um des lieben Friedens willen zu und brach zu meinem sonntäglichen Besuch nach Süden auf.
Mein Vater trug die Erfolge des Stalls mit Fassung und schöpfte einen gewissen Trost aus den Niederlagen. Er schien sich jedoch aufrichtig zu wünschen, daß Archangel das Guineas gewann, und erzählte mir, er hätte lange Telefongespräche mit Tommy Hoylake geführt, um ihm Anweisungen für das Rennen zu geben.
Er sagte, sein Assistent zeige endlich schwache Anzeichen, aus dem Koma zu erwachen, doch die Ärzte befürchteten irreparable Hirnschäden. Er würde wohl einen Ersatz für ihn finden müssen.
Sein eigenes Bein wachse nun auch endlich wieder richtig zusammen, sagte er. Er hoffe, rechtzeitig zum Derby zu Hause zu sein, und danach werde er mich nicht mehr brauchen.
Die Stunden mit Gillie waren wie üblich ein erholsames und amüsantes Intermezzo, und die Zeit im Bett war noch befriedigender als gewöhnlich.
An diesem Sonntag brachten die meisten Zeitungen Bilanzen des Guineas mit verschiedenen
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