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Knochenerbe

Knochenerbe

Titel: Knochenerbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlaine Harris
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ich von der Faith Street abbog, sah ich, dass am Ende der Honor Street ein Arbeitstrupp der Stadt dabei war, um das Sackgassenschild herum Geißblatt und Giftsumach zu entfernen. Dazu würden die Männer Stunden brauchen: Das kleine Stück Brachland war völlig überwuchert, und dies offenbar schon seit Jahren. Die Pflanzen rankten am Schild hoch und hatten sich auch über den hinteren Zaun des Hauses hergemacht, das mit dem Rücken zum Ende unserer Straße lag. Der Pick-up der Stadtwerke parkte auf der Straße, in der Nähe von Macon Turners Haus.
    Den Herausgeber unserer Zeitung sah ich an diesem Tag seit dem Antritt meines Erbes hier zum ersten Mal, vielleicht kam er auch gerade zum Mittagessen nach Hause. Macon trug sein spärliches, bräunlich-graues Haar lang, um es als Tarnung über die kahle Stelle oben am Kopf kämmen zu können. Er hatte ein kluges Gesicht, dünne, ausdrucksvolle Lippen und trug Anzüge, bei denen man immer das Gefühl hatte, sie gehörten eigentlich in die Reinigung. Im Grunde sah der ganze Mann so aus, als sei er nicht recht in der Lage, sich selbst zu versorgen: Sein Haar war immer einen Tick zu lang, als müsste er dringend mal zum Friseur, die Kleidung einen Tick zu zerknittert, als lechze sie nach einem Bügeleisen, er selbst erschöpft und immer einen Schritt hinter seinem Zeitplan hinterher. Macon holte gerade die Post aus seinem Briefkasten und rief mir ein fröhliches Hallo zu, begleitet von einem Lächeln, das mit einer gehörigen Dosis Charme gespickt war. Macon war der einzige Mann, mit dem meine Mutter je ausgegangen war, den ich persönlich auch attraktiv gefunden hatte.
    Er machte Anstalten, zu mir herüberzukommen, also wartete ich in der Auffahrt, die Papiertüte mit meinem Mittagessen in der einen, die Haustürschlüssel in der anderen Hand. Macons Schlips saß schief. Er hatte das leichte Leinenjackett ausgezogen und über den Arm gehängt, wo es gefährlich dicht über dem Boden schwebte. Wusste Carey Osland, deren Haus nicht gerade ein Paradebeispiel für Sauberkeit und Ordnung war, worauf sie sich da einließ?
    „Schön, dich zu sehen! Wie geht es deiner Mutter und ihrem neuen Mann?“, rief Macon beim Näherkommen. Die Männer des städtischen Aufräumtrupps, zwei junge Schwarze, die von einem älteren beaufsichtigt wurden, wandten die Köpfe, um uns einen Blick zuzuwerfen.
    Es war einer dieser Augenblicke, die man nie vergaß, ohne dass es dafür eigentlich einen Grund gegeben hätte. Es war beinahe unerträglich heiß, die Sonne stand strahlend an einem wolkenlosen Himmel. Große, dunkle Schweißflecken zierten die Hemden der drei Arbeiter, einer der jüngeren Männer hatte ein rotes Halstuch um den Kopf geschlungen. Der alte Müllwagen der Stadt war in einem auffallenden Orange gestrichen. Das Kondenswasser der Limonadendose fing an, die bräunliche Papiertüte in meiner Hand zu durchweichen. Ich hatte Angst, die Tüte könne reißen. Eigentlich freute ich mich, Macon zu sehen, wäre aber am liebsten im kühlen Haus verschwunden, um zu essen und nach Madeleines Nachwuchs zu schauen. Unter meinem grünweiß gemusterten Kleid sammelte sich Schweiß, der mir unter dem Gürtel hindurch bis auf die Hüften rann. Ich hängte mir die Handtasche über die Schulter, um eine Hand für mein Haar freizuhaben, das ich am Nacken hochhob, in der vergeblichen Hoffnung auf eine kühle Brise am Hals. Leider hatte ich mir am Morgen nicht die Zeit genommen, einen Zopf zu flechten. Unter meinen Füßen zeichnete sich ein Riss im Asphalt meiner Auffahrt ab – wie konnte ich den ausbessern lassen? Er war wohl schon älter, unansehnlich viel Unkraut hatte sich einen Weg nach oben gebahnt.
    Gerade dachte ich, wie froh ich doch war, dass meine Mutter John geheiratet hatte, einen ehrbaren, oft jedoch auch recht langweiligen Mann, statt bei Macon Turner zu bleiben, dessen scharfe Intelligenz ihn manchmal verwirrend attraktiv machte, als einer der Arbeiter einen Schrei ausstieß. Der Schrei blieb in der dicken, heißen Luft hängen, während die drei erstarrten. Von da an schien mir jede Bewegung um mich herum voller Bedeutung. Mir war bewusst, dass ich den Kopf leicht zur Seite drehte, um besser sehen zu können, was der Mann mit dem roten Tuch um den Kopf vom Boden aufhob. Eine dunkle Hand schloss sich um einen schneeweißen Knochen – der Anblick des Kontrastes nahm mich völlig gefangen. „Heiliger Himmel! Ein Toter“, stieß einer der anderen Arbeiter aus, und vorbei war es mit dem

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