Knochenerbe
hundertdreißig.“
„In der Gegend haben wir gerade ein Haus verkauft, in der Honor Street“, sagte Eileen wie aus der Pistole geschossen. „Eine Sekunde, ich sehe das gerade mal nach.“
Tatkräftig marschierte sie zurück in ihr Büro, der Klang ihrer hohen Absätze war selbst auf dem Teppichboden noch zu hören. Ich folgte ihr durch den in dezentem Blau und Grau gehaltenen Flur in ihr Reich, das zweitgrößte Zimmer im Haus. Nur Mutters Büro war größer. Höchstwahrscheinlich war Eileens Büro früher das zweite Schlafzimmer gewesen und Mutters Büro das Elternschlafzimmer. In der Küche wohnte jetzt ein Kopiergerät neben einer kleinen Ecke, wo man sich einen Imbiss zubereiten konnte. Alle anderen Räumlichkeiten im Haus waren wesentlich kleiner und wurden von Mutters unteren Chargen bevölkert. Eileens mit Papieren übersäter Schreibtisch strahlte eine beinahe schon herausfordernde Beflissenheit aus, aber die Papiere lagen fein säuberlich zu Stapeln sortiert und Eileen war ganz sicherlich in der Lage, mit einigen Bällen gleichzeitig zu jonglieren.
„Honor, Honor, Honor“, flüsterte sie, während sie die Liste der jüngsten Verkäufe durchging. Nicht einer ihrer Finger kam ohne Ring daher. Vermutlich suchte sie nach dem Preis des Hauses, das Arthur und Lynn gerade gekauft hatten. „Hier ist es … dreiundfünfzig.“ Sie sah mich an. „Möchtest du kaufen oder verkaufen?“ Eileen war zur reinen Geschäftsfrau mutiert, meine Jeans und der verrutschte Zopf schienen sie nicht mehr zu interessieren.
„Verkaufen … eventuell. Ich habe ein Haus geerbt. Direkt gegenüber von dem, nach dem du gerade gesucht hast.“ Ich wies auf die Verkaufsliste.
„Ehrlich?“ Eileen blickte mich an. „Du? Du hast geerbt?“
„Ja.“
„Hmm … und du willst das Haus vielleicht verkaufen, statt selbst darin zu wohnen?“
„Ja.“
„Ist das Haus vom Vorbesitzer abbezahlt? Ich meine: Hatte er noch eine Grundschuld eingetragen?“
„Nein.“ Das hatte Bubba Sewell doch erwähnt, oder? Ja, ich war sicher, dass er das gesagt hatte. Bis zum Tode ihrer Mutter hatte Jane die Hypothek auf ihr Haus in Raten selbst abbezahlt, danach aber die Mittel besessen, die Restschuld auf einen Schlag zu tilgen.
„Du hast ein schuldenfreies Haus und möchtest es nicht?“ Eileen sah mich verständnislos an. „Aber zwei Schlafzimmer wären genau die richtige Größe für dich! Nicht, dass ich es nicht gern für dich auf den Markt bringen würde“, fügte sie eilig hinzu.
In diesem Augenblick steckte eine zerbrechlich wirkende, hübsche Frau Ende dreißig den Kopf durch die Tür. „Eileen? Ich möchte jetzt los, einem Interessenten das Youngman-Haus zeigen. Hast du zufällig die Schlüssel da?“ Ihr Lächeln wirkte ein wenig spöttisch.
„Idella! Habe ich es echt schon wieder getan?“ Eileen schlug sich theatralisch mit der flachen Hand gegen die Stirn, allerdings nicht sehr stark, denn das hätte möglicherweise ihr Make-up gefährdet.
„Tut mir leid, ich wusste nicht, dass du Besuch hast“, fuhr die Frau fort.
„Idella, das ist Aurora Teagarden, Aidas Tochter.“ Eileen wühlte in ihrer Handtasche. „Aurora, kennst du Idella Yates? Sie ist seit Anfang des Jahres bei uns.“
Während Idella und ich einander versicherten, wie schön es sei, dass wir uns einmal kennenlernten, setzte Eileen ihre Suche fort. Endlich förderte sie einen Schlüssel mit großem Anhänger zutage. „Ich weiß nicht, warum ich immer wieder vergesse, die Schlüssel ans Schlüsselbrett zurückzuhängen. Ich kriege das wohl einfach nicht in meinen Kopf. Wenn wir einen Schlüssel mitnehmen, um ein Haus zu zeigen, dann sollen wir ihn hinterher sofort wieder vorn an das Brett beim Empfang hängen, das Patty im Auge hat“, erklärte sie. „Eine sehr sinnvolle Regelung, aber irgendwie will die einfach nicht in meinen Schädel.“
„Ist doch nicht schlimm“, zwitscherte Idella. Sie winkte mir zum Abschied zu und verschwand, um ihr Haus vorzufuhren, jedoch nicht ohne einen auffälligen Blick auf ihre Uhr. Wenn jemand Schuld daran hatte, dass sie womöglich zu spät zum Treffen mit ihren Kunden kam, dann gewiss nicht Idella.
Der Blick, den Eileen ihrer Kollegin hinterherschickte, wirkte seltsam beunruhigt. Auf Eileens Gesicht spiegelten sich in der Regel ausschließlich positive Gefühle wider, und zwar meist in voll aufgeblühtem Stadium. So etwas wie Beunruhigung wollte gar nicht zu ihren starken Zügen passen.
„Diese Frau hat etwas
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