Knochenerbe
Seltsames!“, sagte Eileen abschließend, ehe ihr Gesicht wieder den gewohnt optimistischen Ausdruck annahm. „Aber zurück zu deinem Haus! Wie alt ist das Dach, ist das Grundstück an die städtische Wasserversorgung angeschlossen, wie alt ist das Haus? Kennst du diese Details? Obwohl – ich glaube, die Häuser in der Gegend sind alle so um neunzehnhundertfünfundfünfzig herum erbaut. Ein paar möglicherweise noch in den frühen sechziger Jahren.“
„Sobald ich mich entschieden habe, beschaffe ich dir die nötigen Informationen“, versprach ich. Wie um alles in der Welt sollte ich das mit dem Dach herausbekommen? Musste ich nochmals alle Quittungen durchsehen, die Jane aufbewahrt hatte, oder erinnerte sich vielleicht einer der Nachbarn daran, wann die Dachdecker dagewesen waren? Dachdecker waren keine Leisetreter, die bekam man eigentlich als Nachbar schon mit. Ein Gedanke schoss mir durch den Kopf: Was, wenn eins der Häuser in der Straße älter war, als es aussah? Oder an einer Stelle errichtet, an der früher ein älteres Haus gestanden hatte? Vielleicht gab es unter einem der Häuser einen Keller oder Tunnel, in dem sich die Leiche befunden hatte, ehe man sie in den Unkrautdschungel am Ende der Straße befördert hatte?
Zugegebenermaßen war das eine ziemlich weit hergeholte Idee, die Eileen auch sofort verwarf, als ich sie vorsichtig darauf ansprach – natürlich, ohne Leichen zu erwähnen. „In der Gegend ist kein einziges Haus unterkellert, wie kommst du nur darauf? Sie eignet sich nicht dafür, und vor dem Bau der Junior High stand da überhaupt kein Haus, es war alles Nutzwald.“
Eileen bestand darauf, mich zur Tür zu bringen. Als potenzielle Kundin, da war ich mir sicher, nicht, weil ich Aida Teagardens Tochter war. Eine Arschkriecherin war Eileen nicht.
„Wann kommt deine Mutter denn jetzt zurück?“, fragte sie.
„Ich rechne bald mit ihr, wahrscheinlich irgendwann im Laufe der Woche. So genau hat sie das nicht gesagt, und bei euch hat sie wahrscheinlich nicht angerufen, weil sie befürchtete, dann ginge es ruckzuck doch wieder um die Arbeit. Sie kennt sich ja. Deswegen hat sie mich geschickt.“ In allen Büros, an denen wir vorbeikamen, wurde entweder gearbeitet oder sie zeugten, wenn sie gerade leerstanden, davon, dass dort noch vor Kurzem schwer gearbeitet worden war und bald wieder schwer gearbeitet werden würde. Überall klingelten Telefone, Kopierer spuckten Papier aus, Unterlagen quollen aus Aktentaschen.
Zum ersten Mal in meinem Leben fragte ich mich, wie viel Geld meine Mutter wohl besaß. Seltsam, nicht wahr: Jetzt, wo ich ihr Geld nicht mehr brauchte, wurde ich neugierig. Mutter und ich sprachen nie über Geld. Sie hatte auf jeden Fall genug für ihre Bedürfnisse und tat mit ihrem Geld, wonach ihr der Sinn stand: Sie kaufte teure Garderobe, Fuhr ein äußerst luxuriöses Auto (angeblich nur, um die Kunden zu beeindrucken) und liebte schönen Schmuck. Sie trieb keinen Sport, um fit zu bleiben, hatte sich aber in einem der Schlafzimmer ihres Hauses ein Laufband installieren lassen. Sie gab also Geld aus, aber sie verkaufte auch eine Menge Immobilien, und wahrscheinlich strich sie von jeder Provision ihrer Angestellten einen gewissen Prozentsatz ein. Wie das funktionierte, hätte ich nicht sagen können, da ich ein ziemlich schwammiges Bild von der Geschäftswelt hatte, in der Mutter sich bewegte. Bisher hatte ich auch nicht gefunden, dass mich das alles etwas anging. Aber jetzt kam mir plötzlich die Frage in den Sinn, ob Mutter wohl anlässlich ihrer Hochzeit ein neues Testament hatte aufsetzen lassen. Ich wusste nicht, warum mich diese Frage plötzlich beschäftigte und war in diesem Moment bestimmt nicht stolz auf mich. Im Gegenteil: An der nächsten Ampel, an der ich halten musste, warf ich meinem Konterfei im Rückspiegel einen tadelnden Blick zu.
Natürlich besaß John selbst reichlich Geld, und er hatte zwei Söhne …
Unzufrieden mit mir selbst schüttelte ich ungeduldig den Kopf, versuchte, all die üblen Gedanken loszuwerden. Vielleicht war es normal, wenn mir momentan der Tod und Testamente durch den Kopf gingen? Wenn ich mehr als sonst an Gelddingen interessiert war? Aber es wollte mir nicht gelingen, meine Gedanken zu rechtfertigen, ich blieb schlecht gelaunt. Von daher reagierte ich leicht ungehalten, als bei meinem Eintreffen in der Honor Street Bubba Sewells Auto vor der Auffahrt auf mich wartete.
Fast war es, als hätte ich ihn heraufbeschworen, indem
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