Knochenerbe
täglichem Gebrauch hatte: die schweren Wintermäntel, meine paar Cocktail- und Abendkleider und die Roben, die ich als Brautjungfer getragen hatte. Es waren vier an der Zahl: das Schreckgespenst aus lavendelfarbenen Rüschen von Sally Saxbys Hochzeit, Linda Ehrhardts Blümchenchiffon, ein rotes Samtkleid mit weißem Kunstfellkragen, das ich zur Vorweihnachtshochzeit meiner Zimmergefährtin auf dem College getragen hatte, und ein nicht ganz so absurdes rosa Gewand, das bei Fanny Vargas’ Frühlingshochzeit zum Einsatz gekommen war. In dem Lavendelkleid hatte ich ausgesehen wie von einer Barbiepuppe in einen Guerillakampf verwickelt, das Blümchenchiffon war eigentlich nicht schlecht, aber die Farben passten eher zu einer Blondine, das rote Samtgewand hatte mich oben herum wie Dolly Parton ausschauen lassen, in der Gesamterscheinung jedoch wie einen Weihnachtselfen (das war den anderen Brautjungfern genauso gegangen), und das rosa Teil hatte ich mir auf Knielänge kürzen lassen, um es im Laufe der Jahre bei der einen oder anderen Party anzuziehen.
Zu Aminas erster, übereilter Hochzeit war ich in Jeans gegangen.
Die nützlichste Brautjungfernkleidung, die man sich vorstellen konnte.
Inzwischen hatte ich mich in eine üble Stimmung hineingesteigert: erst die Schuldgefühle wegen Phillip, dann die gesammelten Dokumente meiner Geschichte als Brautjungfer es wurde Zeit, dass ich in Gang kam und ein paar Dinge erledigte.
Was stand abgesehen vom Besuch im Great Day noch auf meinem Zettel?
Ich musste nach Madeleine und den Kätzchen sehen. Ich musste bei meiner Mutter im Büro vorbeischauen, worum sie mich auf dem Anrufbeantworter gebeten hatte und wozu ich bisher noch nicht gekommen war. Außerdem verspürte ich das dringende Bedürfnis, nach dem Schädel zu schauen, aber der konnte warten. Bei ihm durfte ich mit ziemlicher Sicherheit davon ausgehen, dass er sich nicht vom Fleck gerührt hatte.
„Dumm“, raunte ich beim Zopfflechten meinem Spiegelbild zu. Verdrießlich legte ich das absolut Notwendigste an Make-up auf und zog meine älteste Jeans an, dazu ein T-Shirt. Ich kam nicht darum herum, mich im Büro meiner Mutter blicken zu lassen, aber ich würde dort auf keinen Fall gekleidet wie eine Jungunternehmerin auftauchen. Mutters Angestellte gingen davon aus, dass ich früher oder später ganz für Mutter arbeiten würde, womit einigen von ihnen allerdings in die Suppe gespuckt wäre. Bisher hatte ein solcher Berufswechsel konkret nicht angestanden, aber anderen Leuten Häuser zu zeigen, schien mir immerhin ein angenehmer Zeitvertreib, und nun, wo ich eigenes Geld besaß – na ja, bald besitzen würde –, war es gut möglich, dass ich mir die Sache mal genauer ansah.
Natürlich musste ich nicht für Mutter arbeiten. Ich warf dem Spiegel ein schelmisches Grinsen zu. Ich konnte tun, was ich wollte! Ich war ein Glückskind! Während ich nach einem Haarband suchte und es ins Haar knüpfte, um das Zopfende zu sichern, erging ich mich in aufregenden Tagträumen. Leider fand ich nur allzu bald in die Realität zurück: Natürlich würde ich für Mutter arbeiten, falls ich mich irgendwann einmal zu einem Jobwechsel entschied, gestand ich mir ein. Aber die Bibliothek würde mir fehlen. Ich sah in meiner Handtasche nach, ob ich alles Nötige eingesteckt hatte. Nein, eigentlich würde mir die Bibliothek gar nicht fehlen. Die Bücher würden mir fehlen, aber weder der Job noch die Menschen.
Die Vorstellung, meinen Arbeitsplatz kündigen zu können, stimmte mich so glücklich, dass ich gut gelaunt in Miss Joe Neils Boutique eintraf.
Aminas Vater war Bilanzbuchhalter, weswegen er sich auch im Geschäft seiner Frau um die Buchhaltung kümmerte. Er arbeitete hinten im Laden, als die Türglocke meine Ankunft ankündigte. Miss Joe Neil war gerade dabei, mit Dampf die Knitterfalten aus einem soeben eingetroffenen Kleid zu entfernen. Aminas Mutter war eine attraktive blonde Frau Mitte vierzig, die ihre einzige Tochter sehr jung bekommen hatte. Amina hatte einen jüngeren Bruder, der noch studierte. Miss Joe Neil war sehr fromm. Meine Eltern hatten sich scheiden lassen, als ich noch Teenagerin gewesen war, und eine meiner größten Sorgen damals war gewesen, Miss Joe Neil könnte an dieser Scheidung so sehr Anstoß nehmen, dass sie mir nicht mehr erlauben würde, bei Amina zu übernachten. Aber Miss Joe Neil hatte sich als sehr herzliche, mitfühlende Frau gezeigt. Meine Sorge hatte sich schnell als völlig unbegründet
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