Knochenfinder
einen Hinweis auf seinen Verbleib gibt.«
Staudt nickte und wies zum Flur. »Kommen Sie mit, es ist oben.«
Während sie die Treppe hochstiegen, bemerkte Natascha, dass auch hier an den Wänden Blumenbilder hingen. Eines zeigte blaue Tulpen mit überdimensionalen Köpfen und zerbrechlich wirkenden Stängeln, ein anderes gelbe Rosen ohne Dornen. Obwohl die Bilder mit intensiven Farben gemalt waren, wirkten sie fade und einfallslos.
Natascha blieb vor einem der Bilder stehen und betrachtete es aus der Nähe. Als sie ein akkurates »K« in einem verschnörkelten »S« entdeckte, fragte sie: »Sind die Bilder von Ihrer Frau?«
Staudt nickte und strich gedankenverloren über die Signatur. »Sie hat schon lange nichts mehr gemalt.« Es klang fast wehmütig, und er blickte auf seine Fingerkuppe, als sei sie mit Farbe beschmiert.
Die obere Etage hatte fünf Türen, von denen zwei geschlossen waren. Die eigenartigen Ölbilder waren die einzigen persönlichen Gegenstände in dem schmalen Flur, der Rest wirkte so steril wie die Inneneinrichtung eines Krankenhauszimmers. Natascha fröstelte, obwohl es draußen warm war.
Staudt öffnete eine der beiden geschlossenen Türen und trat ins Zimmer; Natascha und Winterberg folgten ihm hinein.
In Renés Zimmer hingen ein paar Poster von Hip-Hop-Bands an den Wänden, zudem eine Bundesliga-Stecktabelle aus Pappe und das Bild einer halb nackten Strandschönheit. Die Bettdecke war sorgfältig zusammengelegt worden, das Kopfkissen straff gezogen.
Hier also wohnte René Staudt, während seine Eltern eine Etage tiefer ihr eigenes Leben führten, dachte Natascha. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass er sich hier richtig wohlfühlte, denn das Zimmer war zu zweckmäßig eingerichtet.
Der Schreibtisch war auffallend ordentlich, wenn man bedachte, dass René hier regelmäßig seine Hausaufgaben machte. Auf der rechten Seite standen ein paar Bücher, links ein grüner Stifthalter mit einem Werder-Bremen-Emblem. Ein Collegeblock mit abgeknickten Kanten lag davor.
Irgendetwas irritierte Natascha. Im nächsten Augenblick wusste sie, was es war. »Hat René keinen Computer?«, fragte sie.
Staudt schüttelte den Kopf. »Wenn René etwas für die Schule machen muss, benutzt er meinen Rechner im Arbeitszimmer. Wir möchten nicht, dass er den halben Tag am Computer sitzt und seine Zeit mit fragwürdigen Spielen verschwendet.«
Das könnte erklären, warum sie im Internet so wenig über René gefunden hatte, dachte Natascha. »Welche Hobbys hat René? Und wo trifft er sich mit seinen Kumpels?«, wollte sie wissen. Noch während sie die Worte sprach, überkam sie das Gefühl, dass sie keine konkreten Antworten bekommen würde. Nicht von diesen Eltern.
»Filme«, antwortete Staudt. »René schaut sich gerne Filme an und hört Musik. Was Jungs in seinem Alter eben so machen.«
Winterberg nahm den Collegeblock in die Hand und blätterte ihn durch. »Was guckt er sich denn so an?«, fragte er beiläufig.
»Das kann ich Ihnen nicht sagen. Wie schon gesagt, wir lassen ihm seine Freiheiten.«
Winterberg legte den Block beiseite. »Wir haben jetzt genug gesehen, danke.« Er überreichte Staudt eine Visitenkarte und schüttelte ihm zum Abschied die Hand. »Wenn Ihnen noch etwas einfällt, so unbedeutend es Ihnen auch vorkommen mag, dann sagen Sie uns Bescheid.«
Staudt nickte höflich und ging die Treppe voran nach unten. Seine Frau stand im Flur und starrte die Polizisten mit zusammengekniffenen Lippen an. Sie war kreideweiß und sah aus, als bekäme sie gleich einen Kreislaufkollaps.
Natascha reichte ihr die Hand. »Wir finden allein nach draußen, danke. Sie sollten ein Glas Wasser trinken und sich am besten hinlegen.«
Karin Staudt nickte langsam und ging zurück ins Wohnzimmer. Ihr Mann folgte ihr mit trägen Schritten.
Als sie das Haus verließen, bemerkte Natascha, wie auf der gegenüberliegenden Straßenseite eine Frau mit einem Lappen die Haustür putzte. Aus den Augenwinkeln blickte die neugierige Nachbarin der Staudts zu ihnen herüber, kippte dann das schmutzige Wasser in den Vorgarten und ging ins Haus.
»Soll ich mit dieser Nina sprechen?«, schlug Natascha vor. »Vielleicht erzählt sie mir mehr als euch Männern.«
Sie hoffte, dass die Exfreundin ihnen mehr Hinweise geben würde als die Eltern des Jungen. Die Atmosphäre im Haus war erdrückend gewesen. Als gäbe es da noch mehr Probleme als den verschwundenen Jungen.
Aber vielleicht bewertete sie auch nur ihre Gefühle und
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