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Knochenfinder

Knochenfinder

Titel: Knochenfinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melanie Lahmer
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Sinneseindrücke über.

Kapitel 7
    Knapp zwei Stunden später war Natascha wieder in ihrem Büro. Ihr gegenüber saß Nina Achenbach. Lorenz war mit einem Stapel Akten in den Besprechungsraum neben dem Treppenhaus gegangen, sodass die beiden Frauen das Zimmer für sich allein hatten.
    »Und du weißt wirklich nicht, was in dem Brief gestanden hat?«
    Als Antwort schüttelte das Mädchen heftig den Kopf, sodass die riesigen Creolen an ihren Ohrläppchen hin und her flogen. Nina war sechzehn Jahre alt und so hellblond, dass es nicht echt sein konnte. Als Kontrast dazu waren die Wimpern in dickem Schwarz getuscht: ein Anblick, der Natascha irritierte und es ihr schwermachte, den Blickkontakt zu halten. Aber sie wollte auch nicht auf die Spaghettiträger des smaragdgrünen Tops, nicht auf den aufgeplusterten Ballonrock und nicht auf die gepunkteten Ballerinas starren. Während sie sich so Ninas Outfit vor Augen führte, fühlte Natascha sich plötzlich farblos und langweilig.
    »Ich glaube, ich wäre viel zu neugierig gewesen, um den Brief nicht zu lesen«, sagte sie. »Hast du ihn nicht wenigstens gegen das Licht gehalten oder eine kleine Ecke geöffnet?«
    Doch Nina schüttelte erneut die Creolen. »Ich habe ihn wirklich nicht gelesen. Um ehrlich zu sein, es war mir total egal, was er mir zu erzählen hatte. Jetzt ärgere ich mich natürlich darüber. Aber was soll ich machen? Jetzt kann man eh nichts mehr daran ändern.« Sie fuhr sich mit ihren hellblau lackierten Nägeln unter die Spaghettiträger, die deutliche Abdrücke auf der Haut hinterlassen hatten. »Ich weiß nicht, was ich Ihnen sonst noch erzählen soll. René ist zwei Jahrgänge über mir; allerdings liegen unsere Klassenzimmer nebeneinander, sodass wir uns hin und wieder auf dem Flur begegnet sind. Ein paarmal haben wir uns ganz nett unterhalten, und dann haben wir zusammen einen Kaffee getrunken. Ist das wichtig?«
    Natascha nickte, und Nina hielt einen kurzen Moment inne, als dämmere ihr etwas.
    »Ich weiß ja nicht, was Sie jetzt denken«, meinte Nina. »Aber ein Paar waren wir nicht.«
    Natascha zog überrascht die Brauen nach oben. »Nicht? Renés Eltern haben behauptet, du wärst bis vor vier Wochen seine Freundin gewesen.«
    Nina lachte, doch es wirkte unecht. »Nein, ganz bestimmt nicht. Er war ja irgendwie ganz nett und unterhaltsam, aber sonst ...«
    »Was heißt ›aber sonst‹?«
    Nina spitzte auf die Frage ihre Lippen, ehe sie antwortete.
    »Na ja, ich weiß nicht, ob ich das so sagen sollte, aber er war irgendwie komisch.« Sie sah aus dem Fenster, als würde dieses Gespräch sie langweilen.
    »Was meinst du mit ›komisch‹? Was hat er getan?«, wollte Natascha wissen.
    Doch Nina reagierte nicht auf die Frage. Sie schien mit ihren Gedanken irgendwo anders zu sein.
    Um ihre Aufmerksamkeit wiederzugewinnen, kehrte Natascha zum vorherigen Thema zurück. »René hat dir einen Brief geschrieben.«
    »Ja.« Nina schaute sich im Zimmer um, blickte auf die beiden Schreibtische und auf Lorenz’ Schildkröten. »Ich habe den Brief ungelesen verbrannt – wirklich. Das habe ich Herrn Staudt auch schon erzählt. Es war mir egal, was René mir geschrieben hat. Ich habe nämlich schon seit einiger Zeit einen Freund, Marvin, und wenn der einen Brief von einem anderen gefunden hätte, wäre er bestimmt sauer gewesen.«
    »Weil Marvin eifersüchtig ist?«
    »Ein bisschen. Aber er hat natürlich keinen Grund dazu.«
    Langsam ging Natascha das aufgesetzte, überhebliche Benehmen des Mädchens auf die Nerven. »Hör mal zu, Nina. René wird vermisst. Er ist verschwunden, und keiner weiß, wohin. Seine Eltern sind ziemlich fertig, weil sie in großer Sorge um ihn sind. Würdest du mir jetzt bitte alles erzählen, was du von René weißt? Warum könnte er verschwunden sein? Und wohin? Was stand möglicherweise in dem Brief? Und was, bitte schön, ist an ihm komisch?« Die Fragen sprudelten unkontrolliert aus ihr heraus, obwohl sie wusste, dass sie damit keinen Erfolg haben würde.
    Aber Nina schien von dem Bombardement der Fragen beeindruckt, denn auf einmal war sie kooperativ. »Schon gut. Wenn Sie’s genau wissen wollen: Er war mir unheimlich. Zuerst fand ich ihn ganz nett und interessant. Aber dann fing er an, mich so komisch anzustarren. Nicht wie andere Jungs, sondern irgendwie unheimlich. So wie die Typen in den Highschool-Filmen, die dann die Mädchen überfallen und vergewaltigen.« Sichtlich nervös fuhr sie sich mit der rechten Hand durch den

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