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Knochenfinder

Knochenfinder

Titel: Knochenfinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melanie Lahmer
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drängt sich der Eindruck auf, als wüssten Sie vielleicht doch, wo sich Ihr Sohn befindet.«
    Staudts Gesicht war deutlich anzusehen, dass er mit widerstreitenden Gefühlen rang. Die Mundwinkel zuckten, und immer wieder biss er sich leicht auf die Lippen. Röte überzog seine Wangen, und er begann, laut und unregelmäßig zu atmen. Natascha befürchtete schon, dass er gleich ohnmächtig würde. Doch dann beruhigte sich sein Atem; er verfiel in eine Art Starre und blickte einfach zwischen den Besuchern hindurch an die Wand.
    »Herr Staudt?«, sprach Natascha ihn schließlich an. »Wir möchten gern wissen, wo René am Freitagmorgen hingegangen sein könnte. Hat er seine Schultasche mitgenommen? Haben Sie vielleicht gesehen, wie er das Haus verließ?«
    Staudt erwachte aus der Erstarrung und seufzte laut auf. »Wir mussten doch denken, dass er, so wie jeden Morgen, zur Schule gegangen ist. Und überhaupt – René hat es hier bei uns immer gut gehabt. Er hat also gar keinen Grund, von zu Hause wegzulaufen! Ihm ist bestimmt etwas passiert! Also, warum suchen Sie ihn nicht? Stattdessen stellen Sie mir hier Fragen, die für die Suche völlig belanglos sind!«
    »Natürlich suchen wir Ihren Sohn, Herr Staudt«, entgegnete Natascha. »Aber manchmal tauchen bei einem Fall auch Fragen auf, die für die Angehörigen nicht unbedingt angenehm sind. Und für uns ist es wichtig zu wissen, warum René am Freitagmorgen nicht in der Schule war. Außerdem fragen wir uns, ob Sie nicht doch mehr wissen, als Sie bisher gesagt haben.«
    Staudt sah sie verärgert an. »Was reden Sie denn da überhaupt? Muss ich mir das etwa gefallen lassen?« Fragend blickte er Nataschas Kollegen an.
    Winterberg hob beschwichtigend die Hände. »Es wäre besser, wenn Sie die Fragen meiner Kollegin beantworten. Das würde uns die Arbeit erleichtern.«
    »Also gut.« Staudt nahm eine der drei blauen Kugelkerzen vom Messingteller, der auf dem Tisch zwischen ihnen lag, und hielt sie in der geschlossenen Hand. »Wir haben am Freitagmorgen Streit gehabt«, offenbarte er nach einem Augenblick des Schweigens. Statt weiterzusprechen, legte er mit einer fahrigen Bewegung die runde Kerze in die andere Hand.
    »Wer hatte Streit? Sie und Ihr Sohn?«, fragte Winterberg nach.
    Doch Staudt schüttelte den Kopf. »Meine Frau und ich, wir haben uns gestritten. Am frühen Morgen.« Er hob den Kopf und sah abwechselnd die beiden Kommissare an. »Aber danach sind wir – also René und ich – ganz normal aus dem Haus gegangen. Und meine Frau ist wie immer hiergeblieben.«
    Er legte die Kugelkerze zurück auf den Messingteller und rückte sie sorgfältig zurecht, sodass sie und die beiden anderen wieder die Eckpunkte eines Dreiecks bildeten. Dann legte er seine Hände auf die Oberschenkel und sah die Ermittler erwartungsvoll an – so als hätte er soeben seinen Beitrag geleistet und daher ein Anrecht auf ein paar Worte des Dankes.
    Doch Natascha ließ sich nicht so einfach abfertigen. »Worum ging es bei diesem Streit?«
    »Um nichts Besonderes. Das Übliche. Familienkram. Worum man sich eben so streitet, wenn man zusammenlebt.«
    »Und was ist das?«, verlangte Winterberg zu wissen. Er sprach lauter als zuvor; offenbar war er jetzt genauso verärgert wie Natascha. »Ging es vielleicht um René? Oder möglicherweise um Geld? Oder hat Ihre Frau mit Scheidung gedroht? Hat René vielleicht etwas gehört, das nicht für seine Ohren bestimmt war?«
    Staudt schnaubte. »Ach was! So schlimm war der Streit nicht. Wollen Sie die Wahrheit hören?« Er schwieg einen Moment, als würde er die nächsten Worte genau überlegen. »Ich habe nicht gewusst, ob René am Freitag in der Schule war oder nicht. Ich habe es angenommen, mehr nicht.« Er sah ihnen jetzt offen ins Gesicht. »Was für ein Vater, denken Sie sich jetzt bestimmt. Weiß noch nicht einmal, ob sein Sohn zur Schule geht ... Und meine Frau weiß es auch nicht. Das ist noch besser, oder? Wir haben Ihnen ja gestern schon erklärt, dass wir hier alle mehr oder weniger ein eigenes Leben führen. Keiner für alle, alle für keinen.« Er lehnte sich im Sessel zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. »So, jetzt wissen Sie über uns Bescheid.«
    Winterberg sah ihn kopfschüttelnd an. »Nein, ich verstehe die Situation immer noch nicht. René ist am Freitagmorgen nach einem Streit aus dem Haus gegangen und nicht wiedergekommen, und Sie dachten, er wäre zur Schule gegangen. Warum haben Sie uns das nicht gleich gesagt?«
    Er

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