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Knochenfinder

Knochenfinder

Titel: Knochenfinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melanie Lahmer
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nass war es hier auch.
    Als Nächstes schob er sich von der dünnen Campingmatte. Der felsige Untergrund bohrte sich in die Ellbogen und Unterarme. Er ächzte. Aber was war schon dieser Schmerz gegen die Pein in seiner rechten Hand.
    Vor ihm war es dunkel, doch er quälte sich weiter voran. Schwärze empfing ihn, ein kühler Luftzug strich ihm über das Gesicht. Er kroch weiter, obwohl die Dunkelheit ihn ängstigte; schon als kleiner Junge hatte er nur bei Licht einschlafen können. Plötzlich waren sie wieder da: Hunde und Nazgûl rasten durch seine Gedanken. Er biss die Zähne zusammen und robbte weiter, versuchte, nicht an die blutrünstigen Wölfe zu denken, die in der Dunkelheit lauerten. Aber könnten sie überhaupt schlimmer sein als die Bedrohung, die sich im grauen Dämmerlicht hinter ihm verbarg?
    Nach einer Weile war die Haut an seinen Ellbogen aufgeschürft, und sie brannten jedes Mal, wenn er sie auf den Boden aufsetzte. Dennoch zog er sich weiter vorwärts, dem Luftzug entgegen, den er verspürte. Stück für Stück. Seine Augen gewöhnten sich langsam ans Dunkel im Luftzug: Er sah enge Felswände, die sich als schwarze Schatten vom Grau abhoben. Über ihm, unter ihm und an den Seiten – überall nur feuchter, kantiger Fels.
    Fast hätte er aufgeschluchzt. Warum sah alles so gleich aus? Wie kam er hier bloß wieder heraus? Doch es schien nur diesen Fluchtweg für ihn zu geben. Denn auf der anderen Seite seiner Höhle war eine Bretterwand, die er nicht überwinden konnte. Eine Zeit lang hatte er seine ganze Hoffnung auf diese Wand gerichtet – hatte gebetet, dass von dort jemand käme und ihn herausholte. Aber er hatte irgendwann aufgehört, zu glauben, dass andere ihn retten würden. Er musste selbst etwas tun.
    Er zog sich weiter vorwärts, immer tiefer in die Finsternis hinein. Plötzlich versank sein linker Ellbogen in etwas Nassem, und er keuchte erschrocken auf. Vorsichtig senkte er den Kopf, um an der Flüssigkeit zu riechen. Nichts – sie hatte keinen Geruch. Behutsam streckte er die Zunge aus, um einen Tropfen aufzunehmen. Es schmeckte nach nichts. Es musste das gleiche Wasser sein, das hier überall von den Wänden kam; offenbar sammelten sich die Tropfen zu Pfützen oder gar zu Rinnsalen.
    Unbeholfen drehte er sich zur Seite, um an der Lache vorbeizukriechen. Doch es zeigte sich, dass sie den Boden des Ganges in seiner ganzen Breite einnahm. Ihm blieb nichts anderes übrig, als hindurchzurobben. Sofort sog sich seine ohnehin schon feuchte Kleidung mit dem Wasser voll; die Hose hing wie ein Sack an seinem Körper. Die Lache war länger, als er erwartet hatte, und während er sich in ihr vorwärtszog, platschte das Wasser laut.
    Plötzlich hörte er ein Geräusch.
    Er wusste nicht, was es war und woher es kam – bis ein greller Lichtschein durch den Gang fiel. Sein Herz raste. Hektisch kroch er weiter; mit dem rechten Knie stieß er schmerzhaft gegen eine Steinkante, doch es war ihm gleichgültig.
    »Ach, sieh mal einer an. Was machst du denn hier?« Die Stimme klang belustigt. »Hast du geglaubt, du könntest einfach vor mir davonkrabbeln?« Der Mann kam zu ihm, richtete den Strahl der Taschenlampe direkt auf sein Gesicht und blendete ihn. »Dann muss ich dich wohl wieder fester verschnüren. Dabei habe ich wirklich geglaubt, du wärest klug genug, um zu erkennen, dass ein Fluchtversuch zwecklos ist. Aber da habe ich mich wohl getäuscht.«
    Der Mann beugte sich zu ihm herab. Jetzt sah er alles überdeutlich: die Spritze in der rechten Hand, etwas Weißes in der linken.
    Er hörte, wie seine Verzweiflungsschreie von den Wänden widerhallten.

Kapitel 12
    Natascha betrat das Polizeigebäude durch den Haupteingang und lächelte die Pförtnerin in der Schleuse an. Das Surren des Türöffners ertönte, und Natascha drückte die Innentür auf. Plötzlich knurrte ihr Magen: Es war höchste Zeit, dass sie in ihr Büro kam und endlich etwas aß. Obwohl sie in Eile war, hastete sie an der offenen Fahrstuhltür vorbei und nahm die Treppe. Schon seit Jahren hatte sie keinen Lift mehr benutzt. Ihre letzten Erfahrungen in einem Fahrstuhl waren fürchterlich gewesen: Die Enge in den Kabinen hatte ihr die Luft abgedrückt, und vor Angst hatte sie am ganzen Körper geschwitzt.
    Als sie schließlich in ihrem Stockwerk angekommen war, ging sie direkt zu Winterberg, um ihm sein Essen zu geben.
    Diesmal klopfte sie nicht gegen den Rahmen der geöffneten Tür, sondern ging direkt auf seinen Schreibtisch zu. Er

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