Knochenfinder
die hier noch nie gesehen. Sie sind weder zu den Spielen noch zu den Feiern gekommen. Die Beiträge werden per Dauerauftrag überwiesen. Vielleicht denken sie, dass damit schon alles erledigt wäre. Isses aber nicht.«
»Ist René früher regelmäßig zum Training gekommen?«, fragte Winterberg.
Niederhöfer zog die Nase kraus. »Ich glaube schon. Aber das weiß ich nicht genau, weil ich die Jungs erst seit eineinhalb Jahren trainiere. Früher bei meinem Vorgänger hat er wohl mal ganz ordentlich gespielt. In der Innenverteidigung. Aber als ich die Mannschaft übernommen habe, war davon nicht mehr viel zu sehen. Ich hab ihn dann ins defensive Mittelfeld gestellt, probehalber. Das ging auch zunächst ganz gut, aber dann hat er sich immer seltener beim Training sehen lassen, bis er dann – seit dem Winter – gar nicht mehr gekommen ist. Seltsam, dass er seinen Eltern davon nichts gesagt hat.«
Offensichtlich haben nicht nur die Eltern Geheimnisse, sondern auch der Sohn, fuhr es Winterberg durch den Kopf. »Wissen Sie, was René seither samstags gemacht hat? Treibt er einen anderen Sport? Hat er möglicherweise den Verein gewechselt, ohne dass seine Eltern davon wissen?«
Niederhöfer sah ihn an. »Und er sagt seinem Vater nicht Bescheid, sodass der immer noch glaubt, René würde hier spielen?«
»Zum Beispiel. Halten Sie das für möglich?«
Niederhöfer schwieg und blickte aufs Spielfeld, schien aber von den Jungs nicht viel mitzubekommen. »Ich glaube, der Junge hat ziemliche Probleme zu Hause. Er hat natürlich nie darüber gesprochen. Aber wenn ein Trainer nicht einmal weiß, wie die Eltern eines Jungen aussehen, ist das schon komisch. Aber es geht mich ja eigentlich nichts an, oder?«
»Mit welchen anderen Jungs in der Mannschaft war René befreundet?«
Niederhöfer schüttelte den Kopf. »Von Freunden weiß ich nichts. Er hat sich eigentlich meist aus den Sachen rausgehalten, die neben dem Spielfeld passieren. Sie wissen schon, das Bier nach dem Spiel und so ... Allerdings hatte ich den Eindruck, dass der René irgendwie leicht zu beeinflussen war.«
»Wie meinen Sie das?«
Doch der Trainer zuckte nur mit den Schultern. »Ich weiß nicht genau. Das ist nur so ein Eindruck. Vielleicht ist das aber auch total falsch. Jedenfalls hat er sich immer schnell was sagen lassen und hat sich nie beschwert. Auch nicht bei den Jungs.«
»Haben Sie ein Beispiel?«, fragte Winterberg.
»Ich glaube, dass René mal gemobbt wurde. Aber das war vor meiner Zeit, da kannte ich ihn noch nicht. Ich hab nur mal so was reden hören. Aber mehr weiß ich wirklich nicht. Vielleicht ist es auch nur ein Gerücht.«
»An vielen Gerüchten ist etwas dran. Fällt Ihnen vielleicht doch noch etwas ein?«
Niederhöfer starrte mit zusammengekniffenen Augen auf das Spielfeld. »Nein, tut mir leid. Ich meld mich bei der Polizei, wenn mir was einfällt. Aber jetzt muss ich mich wirklich wieder um die Jungs kümmern, sonst kommen wir zu gar nichts mehr heute. Und den Pokal können wir uns dann abschminken, das kann ich nicht riskieren. Tut mir leid, dass ich Ihnen bei René nicht weiterhelfen konnte.« Er stockte einen kurzen Moment. »Aber warum wollen Sie das denn überhaupt alles wissen? Hat René was ausgefressen?«
Winterberg war so verblüfft, dass es ihm zunächst die Sprache verschlug. Als man dem Trainer erzählt hatte, er würde wegen René von der Polizei befragt, war der Mann anscheinend überhaupt nicht auf die Idee gekommen, nach dem Grund zu fragen. Offensichtlich hatte der Trainer nichts anderes im Kopf als das kommende Turnier und die Vorbereitung darauf.
»René wird vermisst, wir suchen nach ihm«, antwortete Winterberg schließlich.
Niederhöfer hob die Brauen, und auf seiner Stirn bildeten sich zwei waagerechte Wülste. »Oh. Dann hoffe ich mal, dass er bald wieder zurückkommt. Vielleicht erscheint er ja dann auch mal wieder zum Training. Würd mich freuen – das können Sie ihm von mir ausrichten, wenn Sie ihn gefunden haben.«
Er legte ein schiefes Lächeln auf, reichte Winterberg die schweißnasse Hand und eilte zum Mittelkreis. Dort rief er die Spieler zusammen und gab ihnen neue Anweisungen.
Winterberg blieb an der Seitenlinie stehen und starrte dem Trainer hinterher.
Was, zum Teufel, hatte René nur die ganze Zeit gemacht, wenn seine Eltern dachten, er wäre bei einem Fußballspiel oder beim Training?
Kapitel 16
Natascha stand im Flur und betrachtete sich in ihrem großen Spiegel. Sie trug eine
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