Knochenfinder
Hände auf die Oberschenkel. »Wie spät ist es? Ich glaube, ich habe die Zeit vergessen.«
»Halb neun. Du solltest nicht so auf dem Fußboden arbeiten. Kein Wunder, dass du manchmal Rückenschmerzen hast.«
Lorenz sah ihn gespielt unterwürfig an. »Ja, Meister. Beim nächsten Mal werde ich bestimmt darauf achten«, versprach er ironisch und stellte sich zu Winterberg ans Fenster.
»Also ... Was haben die Kollegen aus den beiden Schülern herausbekommen, die diese Gewaltvideos hatten?«
»Das Protokoll für die Befragungen kriegen wir morgen, aber eine Zusammenfassung haben wir schon ...« Lorenz atmete tief ein, schloss die Augen und rieb sich die Nasenwurzel.
Wahrscheinlich hatte er Kopfschmerzen. Kein Wunder, dachte Winterberg.
»Die Adressen der beiden Jungs, von denen dieser Manuel Siebert erzählt hat – Peer Bosch und Karim Bayram –, konnten wir leicht herausfinden«, fuhr Lorenz fort. »Zwei Kollegen sind dann dorthin gefahren und haben die beiden im Beisein der Eltern befragt. Bayram hat sich wohl anfänglich geziert und alles abgestritten, aber sein Vater hat dann ein Machtwort gesprochen. Danach war der Junge so klein mit Hut.« Lorenz zeigte mit Daumen und Zeigefinger die Geste, die zum Sprichwort dazugehörte. »Sein Vater ist Immobilienmakler. Ich hab mal Kontakt mit ihm gehabt, als ich meine Eigentumswohnung gesucht habe. Ein knallharter Typ, der ebenso breit wie hoch ist. Ich würde mich von dem auch nicht gern anmotzen lassen. Bei seinem Sohn hat es gewirkt, denn der Junge hat nach dem Anschiss einiges preisgegeben.«
»Und was?« Winterberg ging zu Nataschas Schreibtisch und setzte sich auf den Stuhl. Es war einer der wenigen freien Plätze in dem Chaos, das Lorenz angerichtet hatte.
»Er hat zugegeben, dass er ein paar Filmchen auf dem Handy hat. Nichts Schlimmes, alles harmlos, wie er behauptet. Und natürlich sei einiges inszeniert worden, damit es ein bisschen was hermacht. Doch nichts davon sei echt. Und er hat sich wohl über Manuel Siebert lustig gemacht, der das nicht gemerkt habe.« Lorenz verzog das Gesicht. »Ich denke, da hat er bei seinem Vater gut was abgeschaut, was das Schönreden anbelangt.«
»Haben wir das Handy?«, fragte Winterberg.
Lorenz grinste. »Klar. Und wir haben auch schon die Filme runtergeladen. Das sind teilweise ganz schön saftige Aufnahmen. Wenn das alles nachgestellt sein soll, dann sind da ein paar gute Schauspieltalente dabei gewesen.« Das Grinsen geriet zu einer gequälten Grimasse. »Ich hab zwar keine Ahnung von Filmen dieser Art, aber die Schreie klangen schon verdammt echt. Und es sah mir auch nicht so aus, als hätte man Ketchup anstelle von Blut genommen.«
»Scheiße.« Winterberg wippte nervös auf dem Schreibtischstuhl hin und her. All das geschah an der Schule, die auch Niklas und Fabian besuchten. Und beide waren in einem gefährlichen Alter – in einer Lebensphase, in der man sich vor den Kumpels beweisen wollte und Mutproben eine wichtige Rolle spielten. Zum Glück kifft Niklas nur, dachte er plötzlich. Aber selbst das war lediglich eine Vermutung, für die es noch keinen Beweis gab. Das, worauf sich René und die beiden anderen eingelassen hatten, war eindeutig schlimmer als der Konsum weicher Drogen.
»Haben Bosch und Bayram über ihre Verbindung zu René gesprochen?«, erkundigte er sich.
Lorenz zog die Brauen hoch und seufzte. »Sie haben herzlich wenig darüber gesagt. Beide haben zugegeben, dass sie René kennen, aber das ließ sich ja auch schlecht verheimlichen. Doch sie schwören Stein und Bein, dass sie nichts mit seinem Verschwinden zu tun haben.«
»Ist das glaubwürdig?«
Lorenz schnaubte verächtlich. »Kann ich noch nicht sagen, ich hab die beiden ja auch nicht persönlich erlebt. Ich meine, wer solche brutalen Filme auf dem Handy hat, dem ist schon einiges zuzutrauen. Da ist die Hemmschwelle zwischen bloßem Zuschauen und Mitmachen sehr niedrig. Die beiden wurden natürlich darüber aufgeklärt, welche strafrechtliche Relevanz der Besitz und die Verbreitung gewaltverherrlichender Medien und Trägermedien für sie haben. Ich kann mir vorstellen, dass ihnen da erst mal der Arsch auf Grundeis gegangen ist. Wenn wir die Filme und die Daten ausgewertet haben, wissen wir auch, ob sie die selbst gemacht oder nur bekommen haben. Aber das dauert; das kriegen wir heute Abend nicht mehr hin.«
»Habt ihr schon die Computer? Wer weiß, was die beiden da noch alles gespeichert haben.«
»Ja, haben wir«, antwortete
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