Knochengrube: Mystery-Thriller (German Edition)
zur Tür, durch die Elvis gerade hereinkam. Er hatte einen Stapel bunter Aktenordner dabei, von denen jeder die Kopien einer Lage des Buches sowie die Arbeit, die sie schon hineingesteckt hatten, enthielt. Er ließ alles vor al-Kalli auf den Schreibtisch plumpsen.
»Nein«, sagte er zu Beth, als er durch die Ordner blätterte und die Inhaltsangaben las. Zufrieden blickte er zu Jakob auf, der hereinkam, die Ordner auf die Metallkiste legte und wieder hinausging.
Al-Kalli griff in die Brusttasche und zog einen dünnen, elfenbeinfarbenen Umschlag heraus. »Aber ich möchte nicht, dass Sie mich für undankbar halten«, sagte er und reichte ihn Beth. Dann machte er auf seinem auf Hochglanz polierten Absatz kehrt, nickte der sprachlosen Mrs Cabot zu und ging. Zurück blieb nur ein leichter Hauch des Aftershaves Bay Rum in der Luft.
Beth stand wie angewurzelt da, ebenso wie Mrs Cabot, bis Elvis achselzuckend sagte: »Es ist ja nicht so, als hätten wir nicht unsere eigenen Kopien von dem ganzen Kram.«
Das stimmte natürlich. Aber was nützte ihnen das ohne das Original? Es war wie eine wunderschöne Besprechung eines Films, den niemand sehen konnte, ein zuverlässiger Artikel über ein Gemälde, das niemals ausgestellt werden würde, die Exegese eines Texts, den kein Mensch jemals lesen könnte. Noch schlimmer, ohne eine öffentliche Quelle oder ein authentisches Artefakt, auf die oder das sie verweisen konnten, könnte es genauso gut ihrer Phantasie entsprungen sein. Keine ihrer Forschungen darüber könnte oder würde jemals ernst genommen werden.
Sie wendete den Briefumschlag in ihrer Hand hin und her. Zu ihrem Erstaunen war er mit rotem Siegelwachs verschlossen, in das die Initialen MAK eingeprägt waren. Außer in Filmen, in denen Leute wie Sir Thomas Morus Sendschreiben vom Erzbischof von Canterbury erhielten, hatte sie so etwas noch nie gesehen. Sie brach das Siegel auf und holte zwei Bankschecks heraus. Der erste, in Höhe von einer Million Dollar, war auf das Getty-Museum ausgestellt. Wortlos reichte sie ihn an Mrs Cabot weiter. Mit dem zweiten Scheck wusste sie nichts anzufangen. Er war auf sie persönlich ausgestellt, über eine Summe von hunderttausend Dollar. Elvis verrenkte den Hals, um etwas zu sehen, dann stieß er einen Pfiff aus.
»Wow«, sagte er. »Sieht aus, als sei da noch ein saftiger Bonus für deinen leitenden Assistenten drin.«
Beth wollte sagen, dass sie das Geld nicht annehmen könne, aber al-Kalli war bereits verschwunden. Mrs Cabot kam näher, und Beth hielt ihr den Scheck hin, damit sie ihn sehen konnte. »Soll ich ihn zerreißen?«, fragte sie.
»Das ist ein Bankscheck«, sagte Mrs Cabot. »Genauso gut könnten Sie Geldscheine zerreißen.«
»Was soll ich damit machen?«
Mrs Cabot machte ebenfalls ein ratloses Gesicht. In ihrem Kopf spulten sämtliche Ethikstandards ab, aber es war nicht ganz klar, welcher davon in diesem Fall zutraf. Al-Kalli hatte Beth nicht gebeten, wegen irgendetwas die Unwahrheit zu sagen, er hatte sie nicht verpflichtet, irgendwelche dubiosen Behauptungen aufzustellen. Er hatte sie auch nicht gebeten, eine verdächtige Provenienz zu bestätigen oder zu erklären, ein Werk, das bis dahin einem einfachen Lehrling zugeschrieben worden war, stamme von einem der Alten Meister. Stattdessen hatte er den Gegenstand, der für derlei Überlegungen in Frage käme, gerade mitgenommen. Es war also offensichtlich keine Bestechung, sondern ein Geschenk. Doch im Getty gab es die eindeutige Regel, auf deren Einhaltung strengstens geachtet wurde, dass alle Museumsmitarbeiter verpflichtet waren, über alles Bericht zu erstatten, das möglicherweise in irgendeiner Weise einen Interessenskonflikt darstellen könnte. Allein auf dieser Grundlage musste Beth die Verwaltung über den Scheck informieren. Die Angelegenheit musste geklärt werden, und erst dann konnte sie sich das Geld möglicherweise auszahlen lassen.
»Ich würde sagen, lös ihn ein, und zwar schnell«, flüsterte Elvis in Beth’ Richtung und machte sich aus dem Staub, ehe Mrs Cabot ihn rüffeln konnte.
»Ich muss den hier zur Buchhaltung bringen«, sagte Mrs Cabot mit Blick auf den Scheck über eine Million. »Da kann ich Ihren genauso gut mitnehmen, zur sicheren Aufbewahrung«, fuhr sie fort und riss Beth das Blatt aus der Hand. »Der Justitiar des Museums muss entscheiden, ob Sie ihn behalten dürfen oder nicht.«
Dann verschwand auch Mrs Cabot, und Beth fand sich unvermittelt in ihrem eigenen Büro
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