Knochengrube: Mystery-Thriller (German Edition)
genau, aber es herrscht einige Aufregung. Dieser Araber …«
»Mr al-Kalli.«
»Er ist vor einer halben Stunde aufgetaucht, zusammen mit seinem Bodyguard, und will alles zurückhaben.«
»Das Buch?«
»Das, und die Übersetzung, so weit wir sie bis jetzt fertig haben. Er war schon unten in Hildegards Labor und ist mit dem Buch zurückgekommen.«
»Ich möchte nicht wissen, wie Hildegard reagiert hat.«
»Ich kann’s dir sagen, ich musste ihn nämlich rüberbringen. Sie war nicht gerade glücklich. Sie hat gerade den Vordereinband wieder zusammengefügt – aus irgendeinem Grund hatte sie ihn abgemacht, …«
Auf Beth’ Bitte hin.
»… und kaum hatte sie den letzten Stich der Bindung getan, befahl er seinem Bodyguard …«
»Jakob.«
»Richtig. Er befahl ihm, das Buch in die große Kiste zu packen, in der sie es hergebracht hatten.«
Bei Elvis klang es, als hätte er bloß irgendein Autoradio mitgenommen.
»Dann kamen sie wieder hoch und fingen an, nach dir zu suchen.« Nachdem er seine Zusammenfassung abgeschlossen hatte, entfernte er ein Steinchen aus der Sandale. »Heiß hier draußen«, stellte er fest. »Müssen die Santa-Ana-Winde sein.«
Widerwillig faltete Beth den Brief zusammen, denn es war nur noch ein kleiner Absatz übrig. Aber ihr war klar, dass sie keine andere Wahl hatte, als sich direkt in die Höhle des Löwen zu begeben. Wenn al-Kalli oben in ihrem Büro war und die Herausgabe aller Arbeiten verlangte, die sie bisher geschafft hatten, würde sie ihm diese bereitwillig übergeben. Keine Frage, der mit Hilfe des Computers übersetzte Text im Bestiarium war interessant, aber er war auch ziemlich oberflächlich. Die Tiere, von den Chimären bis zu den Leviathans, die in den Illustrationen so natürlich dargestellt waren, wurden im Begleittext nur zusammenfassend beschrieben, und zwar vom christlichen Standpunkt aus, wie es dem Geist der damaligen Zeit entsprach. Der feuerspuckende Basilisk, zum Beispiel, wurde als Symbol der Fleischeslust und des Teufels porträtiert, und die Textstelle aus der Vulgata war ordnungsgemäß eingefügt worden: Super aspidem et basiliscum ambulabis . Viele Jahrhunderte später wurde dieser Psalm mit »Über Löwen und Ottern wirst du gehen und junge Löwen und Drachen niedertreten« übersetzt. Beth sah darin einen Standardverweis auf Christi Sieg über Satan. Der Greif wurde, da er vier klauenbesetzte Füße, aber auch Flügel wie ein Vogel hatte, nach dem 3. Buch Moses, 11,13–20, zu den unreinen Geschöpfen gezählt. Der Phönix war natürlich ein Symbol der Auferstehung, da sein Fleisch als unzerstörbar galt und er sich nach drei Tagen aus seiner eigenen Asche erhob. Und der Mantikor, die tödliche Bestie, der niemand widerstand, »hungerte gierig nach menschlichem Fleisch« und war, wie der Teufel selbst, unersättlich. Überraschend war allein, solche christlichen Metaphern und Allegorien in einem Buch zu finden, dessen Ursprung im Nahen Osten lag, doch Beth schrieb dies dem Umstand zu, dass der Autor im Ausland geboren worden war.
Sie warteten kurz, bis eine weitere Besuchergruppe den sanft ansteigenden Hügel zurück zum Hauptkomplex des Museums erklomm, dann folgten sie ihr auf dem sich dahinschlängelnden Weg. Die Gärten des Getty-Museums waren nach einem geschickten Plan angelegt worden, der den Eindruck vermittelte, es gäbe überhaupt keinen Plan. Hölzerne Stege kreuzten plätschernde Bäche, in denen verstreut Findlinge aus Gebirgsausläufern lagen, und alles war so arrangiert, dass überall leicht unterschiedliche Geräuschkulissen entstanden. Scheinbar zufällig zusammengestellte Pflanzengruppen wie Reh-Haargras, Dymondia, Geranien, Lavendel und Thymian waren strategisch nach Farben und Texturen angeordnet worden. Elvis sagte: »Soll ich eine Kopie aller Dateien für al-Kalli machen?«
»Ja.«
»Und was ist mit der kompletten Liste der Reklamanten?«
Es war zwar die Liste mit den Reklamanten gewesen, die sie zur Entdeckung des geheimen Briefs des Schreibers geführt hatte, aber was sollte al-Kalli schon damit anfangen können? Er war ziemlich unbeeindruckt gewesen, als Elvis damit herausgeplatzt war, dass die Reklamanten Sätze ergaben, und selbst Elvis wusste nichts von dem Brief. In stundenlanger Arbeit hatte Beth den Brief allein eingescannt und mit ihrer mühsam erarbeiteten Datenbank abgeglichen. Außer Carter wusste nur noch Hildegard überhaupt von dem Brief, und Beth vertraute darauf, dass sie den Mund hielt. Hildegard
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