Knochengrube: Mystery-Thriller (German Edition)
war.
13. Kapitel
»Jakob«, sagte al-Kalli hinter der Staffelei.
»Ja, Sir?«
»Siehst du die Schubkarre dahinten?«
Jakob blickte an der Reihe Jacarandabäume entlang, deren Zweige voll violetter Blüten waren, auf die rustikale Schubkarre, die kunstvoll am anderen Ende platziert worden war.
»Kannst du sie ein Stück weiter nach vorne stellen, mehr in den Rahmen des Bildes hinein?«
Während Jakob losging, um zu tun, worum er ihn gebeten hatte, lehnte sich Mohammed im Schatten des hohen Sonnenschirms in seinem Gartenstuhl aus Segeltuch zurück. Nachmittags baute er oft seine Staffelei irgendwo auf dem Grundstück auf. Es bot ihm so viele unterschiedliche Ausblicke und Motive, und mit raschen und möglichst unbeschwerten Pinselstrichen hielt er seine Eindrücke in einem Aquarell fest. Er hatte ein gutes Auge, und sein Kunstlehrer in Harrow war der Meinung gewesen, er sollte eine Karriere als Künstler anstreben. Aber er malte hauptsächlich, um sich zu entspannen, um seine Gedanken von anderen Dingen abzulenken, Dingen, die ihm keine Ruhe ließen.
Er tendierte, wie alle seine Familienmitglieder, zu düsteren Phantasien.
Jakob schob die Schubkarre ein paar Zentimeter vor, und al-Kalli rief laut: »Weiter! Noch weiter!«
Es war eine alte Holzschubkarre, die er in einer Baumschule entdeckt und erworben hatte, obwohl sie eigentlich nicht zu verkaufen gewesen war. Er hatte ihr Potential auf der Stelle erkannt.
»Genau da – halt.« Al-Kalli setzte sich wieder auf, studierte die Komposition der Szene ein weiteres Mal. Die Reihe der Jacarandabäume, der sich windende Pfad, die abgenutzte Schubkarre, die dastand, als sei sie gerade in Gebrauch … Er nickte langsam. Träge tunkte er den Pinsel in die Baccarat-Kristall-Vase, die er für diesen Zweck verwendete, trocknete ihn und tupfte damit auf die Palette. Es war so schwierig, diesen Farbton zu treffen, diese phantastische Mischung aus Violett und Lavendel, mit einem Hauch Blau, das die Blüten zu dieser Jahreszeit zeigten. Die Blütezeit dauerte nur ein, zwei Wochen, und al-Kalli wollte sie, so gut er konnte, auf dem Papier einfangen.
Doch gerade, als er ein paar zaghafte Striche gemacht hatte, zog eine Wolke über seinen Kopf hinweg und dämpfte die Farben des Motivs. Al-Kalli warf einen Blick auf seine Taschenuhr. Es war halb fünf nachmittags. Das Licht wurde ohnehin zu grell und fiel zu schräg ein. Er würde morgen von neuem anfangen müssen.
»Wir lassen alles, wie es ist«, sagte er zu Jakob, legte Pinsel und Palette wieder auf den Beistelltisch und stand auf. Es war ein vielversprechendes Arrangement, dem er sich morgen erneut widmen würde.
Er wischte seine Hände an einem Leinentuch ab, trank den Rest Boodles Gin aus dem gekühlten Glas und wandte sich zum Haus. Jakob hielt sich wie üblich drei Schritte hinter ihm.
»Warum statten wir nicht unserem Gast einen Besuch ab?«, sagte al-Kalli, ohne sich umzudrehen.
Jakob antwortete nicht. Er wusste, dass es keine Frage gewesen war.
»Vielleicht möchte er uns ein paar neue Geschichten erzählen.«
Al-Kalli umrundete den Swimming-Pool mit dem schwarzen Boden, überquerte den weitläufigen Portikus hinter dem Haupthaus und wollte gerade hineingehen, als er auf seinen Sohn Mehdi stieß. Er schlenderte ihm entgegen, ein Badehandtuch über dem Arm, das mit dem al-Kalli-Pfau geschmückt war.
»Hast du deine Hausaufgaben gemacht?«, fragte Mohammed ihn.
»Wenn ich ja sagte, würdest du mir glauben?«
»Nein.«
»Was für einen Unterschied macht es also?«
Al-Kalli musste diesen Punkt verloren geben, nicht jedoch die Schlacht. »Hast du sie gemacht?«
»Die Aufgabe ist erst nächste Woche fällig, es ist ein langer Bericht. Ich habe noch Zeit.«
Mehdi flitzte vorbei, ehe sie noch eine Runde zanken konnten. Mohammed liebte ihn von ganzem Herzen, denn er war buchstäblich der Einzige aus der Familie, den er aus dem Irak hatte mitnehmen können. Doch seit der Junge ein Teenager war, war er mürrisch und streitsüchtig, und ihre Beziehung bestand nur noch darin, dass sie stritten und einander ansonsten aus dem Weg gingen. Ob das in allen Familien so war? Mohammed fragte sich, ob seine eigenen Eltern ähnlich empfunden hatten.
Doch es war niemand mehr übrig, den er fragen konnte.
Al-Kalli ging Jakob voran zur hinteren Dienstbotentreppe, überließ es diesem jedoch, das Vorhängeschloss zu öffnen. Nachdem sie mehrere unter dem Haus gelegene Lagerräume passiert hatten, kamen sie zu einer weiteren
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