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Knochenhaus (German Edition)

Knochenhaus (German Edition)

Titel: Knochenhaus (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elly Griffiths
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jetzt unausweichlich auf Ruth abgesehen hat?
    Sie weiß selbst nicht, wie lange sie dort steht, Flint streichelt und in die Nacht hinausstarrt. Es kommt ihr vor, als wäre sie in Sicherheit, solange sie sich nur nicht rührt. Sobald sie sich bewegt, wird auch er sich bewegen, der Unbekannte dort draußen. Er wird sich in Bewegung setzen und sie holen. Tränen treten ihr in die Augen.
    Da bringt ein winziges Flattern in ihrem Bauch sie wieder zur Besinnung. Sie muss ihr Baby beschützen. Das Wesen da draußen kann schließlich nicht durch Wände gehen. Ruth nimmt Flint auf den Arm, wendet sich vom Fenster ab und stolpert nach oben, ins Bett.

    Sie wacht auf, weil sie Flint draußen vor der Haustür maunzen hört. Er weigert sich oft, die Katzenklappe zu benutzen, weil er den persönlichen Service bevorzugt. Noch ganz verschlafen, taumelt Ruth die schmale Treppe hinunter und öffnet die Tür. Vom Moor her wehen morgendliche Nebelschwaden heran. Flint sitzt auf halbem Weg zum Gartentor, die Schnauze weit aufgerissen vor Empörung. Und auf Ruths Türschwelle liegt ein totes Kalb. Es ist ein schwarzes Kalb. Ein Kalb mit zwei Köpfen.

[zur Inhaltsübersicht]
    23
    «Was ist denn das bloß?»
    «Ein Ausstellungsstück», sagt Nelson. «Aus dem Museum. So wie das Baby.»
    Ruth hat Nelson sofort angerufen, und zehn Minuten später ist er da, im Trainingsanzug und mit nassen Haaren. «Ich war gerade im Fitnessstudio», beantwortet er ihren fragenden Blick.
    «Ich dachte, du kannst Fitnessstudios nicht leiden.»
    «War Michelles Idee. Wir gehen immer morgens vor der Arbeit. Ist gar nicht so schlecht, wenn man sich erst mal dran gewöhnt hat. Und das Schwimmbad da ist wirklich toll. Nach ein paar Bahnen am Morgen kommt man ganz anders in den Tag.»
    «Wenn du meinst.»
    Nelson hockt in Ruths Vorgarten und begutachtet das Kalb, das, wie sie jetzt sieht, ausgestopft ist. Aus der Nähe wirkt es längst nicht mehr so bedrohlich, eigentlich nur erbärmlich mit seinem teilweise abgeschabten Fell und den vier Glasaugen. Der zweite Kopf ist im Grunde kaum mehr als eine Ausbuchtung am Hals mit Andeutungen von Augenhöhlen und Maul. Die Augen muss der Präparator eingesetzt haben, um den monströsen Effekt noch zu vergrößern. Ruth hat Mitleid mit dem Tier, es wäre ihr aber trotzdem deutlich lieber gewesen, es nicht gerade vor ihrer Haustür vorzufinden. Ist das eine Gabe desjenigen, der letzte Nacht vor ihrem Haus gelauert hat?
    «Das zweiköpfige Kalb von Aylsham.» Nelson richtet sich wieder auf.
    «Wie bitte?»
    «Wie gesagt, es stammt aus dem Museum. Die haben da eine Sammlung mit ausgestopften Tieren. Das Kerlchen hier war bei den Viktorianern anscheinend ziemlich berühmt. Es ist über Jahrmärkte getingelt, die Monster und so was zur Schau gestellt haben.»
    «Und wie bitte schön kommt das zweiköpfige Kalb von Aylsham vor meine Haustür?», fragt Ruth und hört selbst, dass sie ebenso bockig wie verängstigt klingt.
    Nelson zuckt die Achseln, doch seine Miene ist düster. «Keine Ahnung. Ich fahre nachher noch mal ins Museum. Dabei war ich erst gestern dort.»
    «Ach ja? Warum denn?»
    «Um mich nach dem Fötusmodell zu erkundigen. Anscheinend hat da jemand Spaß dran, dir solche Sachen in den Weg zu legen.»
    Aber warum?, denkt Ruth. Und wieso wird sie das Gefühl nicht los, dass dieser Jemand, wer immer er ist, immer näher und näher kommt und immer zorniger wird? Laut sagt sie: «Hast du schon gefrühstückt? Willst du eine Tasse Kaffee?»
    «Nein, danke. Ich muss dann auch gleich weiter. Unseren kleinen Freund hier nehme ich mit.» Damit streift er ein Paar Einweghandschuhe über und stapft dann schwerfällig den Gartenweg entlang, das zweiköpfige Kalb unter dem Arm.

    Ruth sieht ihm nach. Der Anblick wirkt reichlich unwirklich, weil der Morgennebel noch am Boden hängt und von der Taille abwärts alles verdeckt. Es sieht aus, als schwebte Nelsons Oberkörper, flankiert von dem kuriosen zweiköpfigen Geschöpf, auf einer weißen Wolke dahin. Ruth fröstelt. Die Morgenluft ist kühl, und sie trägt nur einen Pullover, den sie hastig über den Schlafanzug gestreift hat. Mit Sicherheit steht ihr das Haar nach allen Seiten ab, und ihr Gesicht ist noch verquollen vom Schlaf. Ein netter Kontrast zu Michelle, die Nelson im Fitnessstudio zurückgelassen hat und deren durchtrainierter Körper wahrscheinlich in einem Designer-Trainingsanzug steckt. Ach, was soll’s? Ruth geht über das feuchte Gras zum Haus zurück. Sie muss

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