Knochenhaus (German Edition)
steht Freund Maske wieder da und lässt sich über Abtreibungen, Oralsex und die Pille aus. Worauf natürlich irgendein Sechziger-Jahre-Gedudel einsetzt und die vier Schauspieler noch eine Orgie feiern, nur diesmal mit LSD statt mit Trauben. Einer stirbt an einer Überdosis, und die anderen singen «Yellow Submarine» als Totenklage. Der Mann mit der Maske taucht wieder auf und erklärt, an allem wären sowieso die Planeten schuld, und das fröhliche Vierergespann kommt in Raumanzügen auf die Bühne, um dem Publikum mitzuteilen, dass die Erde gerade in ihrem eigenen Schlund verschwunden ist. Daraufhin gibt es Beifall und laute Rufe nach dem Autor.
«O Mann», meint Nelson auf dem Weg nach draußen. «Was für ein Haufen gequirlter Scheiße.»
«Pst.» Michelle wirft einen Blick über die Schulter. «Da hinten steht Leo.»
Nelson schaut hinüber, wo der bärtige Stückeschreiber von seinen Bewunderern umringt wird. Er meint Shonas roten Schopf in der Menge zu erkennen, doch Ruth ist nirgends zu sehen.
«Ich sollte ihn wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses verhaften lassen», brummt er.
«Pssst!»
Im Wagen gibt dann auch Michelle zu, dass sie das Stück grässlich fand, und ist sogar mit dem Vorschlag einverstanden, noch etwas beim Chinesen zu holen. Deutlich besserer Laune summt Nelson leise vor sich hin, während er durch die Vororte von Norwich braust und den Wagen fröhlich über die Bodenschwellen holpern lässt.
«Und», sagt Michelle im Plauderton, «was sagst du zu Ruth?»
Nelson hört auf zu summen. «Wie meinst du das denn?»
Sie lacht. «Ach, Harry, es ist hoffnungslos mit dir. Ist dir das denn nicht aufgefallen?»
«Was soll mir aufgefallen sein?» Jetzt ganz vorsichtig, ermahnt er sich.
Doch Michelle lacht immer noch. «Sie ist schwanger.»
Nelson hält den Blick fest auf die Straße gerichtet und zählt langsam bis zehn.
«Ist dir das wirklich nicht aufgefallen?»
«Du kennst mich doch», sagt er. «Mir fällt nie was auf.»
«Du bist mir ja ein toller Ermittler», witzelt Michelle.
«Aber du kannst doch auch nicht sicher sein, dass sie wirklich schwanger ist», gibt Nelson zurück.
«O doch. Ich habe sie nämlich gefragt, als wir zusammen auf dem Klo waren.»
Innerlich verflucht Nelson die Tatsache, dass Frauen partout nicht allein aufs Klo gehen können. Und wieso müssen sie dabei auch noch reden? Kein Mann käme auf die Idee, auf dem Klo zu reden. Kein Wunder, dass die Weiber immer so lange brauchen.
«Sie wollte mir aber nicht sagen, wer der Vater ist.» Michelle beugt sich vor und dreht am Autoradio.
«Ach nein?»
«Nein. Aber ich bin mir sicher, es ist ihr Exfreund. Wusstest du, dass er zu seiner Frau zurückgegangen ist?»
«Sag bloß.»
Michelle geht die Sender durch, bis sie einen gefunden hat, dessen Musikauswahl ihr gefällt. Eine weibliche Stimme füllt den Wagen und verkündet, dass Mädchen doch einfach nur Spaß haben wollen. «Weißt du, Harry», sagt Michelle nachdenklich, «ich würde Ruth ja gern ein bisschen helfen.»
Vorsicht, Harry, ermahnt Nelson sich erneut. Ganz vorsichtig.
«Wieso denn?»
«Weil sie ein Baby bekommt und allein ist und keine richtige Beziehung mit dem Vater hat. Sie hat ja bestimmt viele Freunde von der Universität, so wie diesen verrückten Zauberkünstler, der uns die Traumfänger geschenkt hat, aber wahrscheinlich kennt sie außer uns keine einzige normale Familie. Und darum würde ich sie gern ein bisschen unterstützen. Babysachen mit ihr kaufen gehen und so etwas.»
In all den Jahren, die er Michelle jetzt kennt, hat sie noch nie eine andere Frau unter ihre Fittiche genommen. Warum, denkt Nelson verzweifelt, muss sie ausgerechnet bei Ruth damit anfangen? Er sieht seine Frau von der Seite an. Sie lächelt versonnen und dreht wie ein kleines Mädchen das Ende ihres blonden Pferdeschwanzes um den Finger.
«Gut», sagt er schließlich. «Wenn du unbedingt willst.»
Ruth fährt gut gelaunt nach Hause zurück. Sie hat einen gesellschaftlichen Anlass durchgestanden, ohne sich übergeben oder auch nur tausendmal aufs Klo rennen zu müssen. Und obwohl das Stück grauenvoll war, hat es doch Spaß gemacht, abends unterwegs zu sein, ein paar gutgekleidete Menschen zu sehen und über etwas anderes zu reden als über Knochen, Enthauptungen und Tod. Es war auch schön, ein bisschen Zeit mit Shona zu verbringen. Vielleicht können sie ja doch Freundinnen bleiben, wenn Ruth in die Schattenwelt des Mutterdaseins abdriftet. Selbst die
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