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Knochenhaus (German Edition)

Knochenhaus (German Edition)

Titel: Knochenhaus (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elly Griffiths
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pünktlich um halb zwölf in die Woolmarket Street zu schaffen. Die medizinisch-technische Assistentin verteilt das gewohnte Gel auf ihrem Bauch, und gleich darauf, wundersam rasch, füllt das graue, wolkige Innenleben ihrer Gebärmutter den Bildschirm. Ruth beugt sich vor.
    «Da sind die Beine des Babys. Seine langen Beine.» Die Frau drückt ein paar Knöpfe. «Und hier haben wir eine ganz gute Ansicht des Gesichtchens.» Ruth schaut auf den Bildschirm, sieht aber nichts als einander überlappende Formen wie auf einem kubistischen Gemälde. Die Frau deutet mit dem Finger: «Da ist die Nase.» Und plötzlich sieht Ruth tatsächlich ein Profil: die Stirn, die winzige Nase, den Mund, das Kinn. Sie glaubt sogar, die Miene erkennen zu können, ernst und nachdenklich.
    «Wollen Sie das Geschlecht wissen?», fragt die MTA.
    Ruth ist selbst ganz überrascht, wie gern sie es wissen möchte. Ihre Beziehung zu diesem Wesen, diesem kleinen Menschen, hat sich so sehr entwickelt, dass sie gar nicht anders kann.
    «Oh … ja, bitte.»
    Wieder deutet die Frau auf den Bildschirm. «Ganz hundertprozentig kann ich es natürlich nicht sagen, aber ich bin mir einigermaßen sicher, dass es ein Mädchen ist.»
    Ruth macht große Augen. «Ein Mädchen?»
    «Na ja, manchmal ist das Anhängsel, Sie wissen schon, ein bisschen versteckt, aber eigentlich haben wir hier eine sehr gute Vorderansicht. Ich würde sagen, Sie bekommen ein Mädchen.»
    Ein Mädchen. Eine Tochter.

    Nelson durchlebt einen anstrengenden Vormittag. Clough treibt sich schon verflixt lange im Museum herum. Wahrscheinlich hockt er im Café und schlägt sich wieder den Bauch voll. Oder er ist Trace über den Weg gelaufen, und die zwei unterhalten sich gerade ganz gemütlich über die Römer. Dann taucht Roderick Spens auf, voll wirrem Charme und endlosen Geschichtchen, und muss mühsam dazu bewegt werden, sich der Testprozedur zu unterziehen. Judy hätte das sicher besser gemacht, denkt Nelson, als er Tanya dabei beobachtet, wie sie versucht, den alten Mann aus dem Büro zu lotsen. Freundlich, aber fest muss man sein. Er selbst hat diese Einfühlsamkeitsmasche auch nie besonders gut beherrscht.
    Und dann steht zur Krönung auch noch Whitcliffe in der Tür.
    «Morgen, Harry. Ich wollte nur kurz hören, wie die Sache in der Woolmarket Street vorangeht. Edward Spens hat mich gerade angerufen. Anscheinend macht er sich Sorgen, weil sein alter Herr da hineingezogen wird.»
    Das ist ja wieder typisch, denkt Nelson. Edward Spens ist genau die Sorte Mensch, die sich gleich beim Chef beschwert. Die leichte Zuneigung, die Spens’ Fürsorge für seinen Vater in ihm ausgelöst hat, ist gleich wieder beim Teufel.
    «Sir Roderick ist gerade hier bei uns», erwidert er, und sein Instinkt sagt ihm, dass Whitcliffe das mit Sicherheit längst weiß. «Wir wollen wissen, ob es eine DNA-Entsprechung mit der Leiche gibt. Eine meiner Mitarbeiterinnen kümmert sich um ihn.»
    «Ist eine solche Entsprechung denn wahrscheinlich?»
    Nelson erklärt ihm die Sache mit Annabelle Spens, doch Whitcliffe schaut immer noch skeptisch drein. «Klammern Sie sich da nicht etwas an Strohhalme, Harry?»
    «Schon möglich.» Whitcliffe nennt Nelson zwar beim Vornamen, aber Nelson seinerseits kann ihn natürlich keinesfalls «Gerry» nennen. «Sir» wird er allerdings auch nicht zu ihm sagen.
    Whitcliffe will noch etwas erwidern, doch da vibriert Nelsons Handy und kündigt eine SMS an. Nelson greift nach dem Gerät. «Entschuldigen Sie ganz kurz.»
    Die Nachricht ist von Ruth. Nur zwei Worte: «Ein Mädchen!»
    Nelson starrt auf das Handy. Irgendwo hört er Whitcliffe wie aus weiter Ferne weiterschwafeln: «Einflussreicher hiesiger Geschäftsmann … Eindruck bei der breiten Öffentlichkeit … Respekt und Rücksicht auf ältere Mitbürger …» Doch in Nelsons Kopf hat nur Ruths SMS Platz. Ein Mädchen. Noch eine Tochter. Er kann es kaum glauben. Ruth war doch so sicher, einen Jungen zu bekommen, und irgendwie hat er das auch geglaubt. Michelle ist so durch und durch weiblich, dass es immer völlig ausgeschlossen schien, sie könnte ein männliches Wesen zur Welt bringen. Doch Ruth ist stark und unabhängig – er war überzeugt, dass sie einen Sohn bekommen würde. Noch eine Tochter. Nun, es wird ihm nicht weiter schwerfallen, eine Tochter zu lieben. Darin hat er ja schon Übung.
    «Harry?»
    «Ja. Ja, klar. Wird gemacht.»
    Whitcliffe mustert ihn erstaunt, und Nelson fragt sich kurz, wozu er da wohl

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