Knochenhaus (German Edition)
gerade seine Zustimmung gegeben hat. Doch die Antwort scheint seinen Chef ausnehmend zu freuen: Er stolziert bester Laune aus Nelsons Büro.
Kaum ist die Tür hinter ihm zu, ruft Nelson Ruth zurück. «Ruth! Ist das wahr?»
Er hört sie lachen. «Sieht ganz so aus. Wir bekommen ein Mädchen.»
«Aber du warst doch so sicher, dass es ein Junge ist.»
Verärgert bemerkt Nelson, dass Sir Roderick Spens seine Bürotür geöffnet hat, dicht gefolgt von Tanya. Nelson scheucht beide mit einer Handbewegung wieder hinaus.
«Ja, ich weiß, aber die Frau, die den Ultraschall gemacht hat, war sich ziemlich sicher.»
«Noch ein Mädchen. Mein Gott.»
«Freust du dich?»
Er lacht. Natürlich kann von Freude eigentlich keine Rede sein, Ruths Schwangerschaft ist schließlich eine irrsinnige Gefahr für seine Ehe. Doch wenn man davon mal absieht, ist er außer sich vor Freude. Hellauf begeistert sogar.
«Wo bist du gerade?», fragt er.
«Auf dem Weg zum Grundstück an der Woolmarket Street.»
«Dann komme ich da auch hin.» Er wirft einen Blick auf die Uhr. Zwanzig nach elf. «In einer Viertelstunde bin ich da.»
Und damit beendet er das Gespräch, ehe Ruth ihm noch sagen kann, dass sie dort mit Max verabredet ist.
Auf dem Grundstück ist schon wieder einiges los. Bagger rollen hin und her, in der Einfahrt steht ein riesiger Baucontainer und blockiert den Zugang. Max steht mit einem Helm auf dem Kopf und enttäuschter Miene neben der Baracke des Poliers.
«Ich hätte nicht gedacht, dass die Bauarbeiten schon so weit fortgeschritten sind.»
«Wahrscheinlich wollen sie die verlorene Zeit wieder aufholen», sagt Ruth. «Nelson meinte, Edward Spens kann es kaum erwarten, mit den Bauarbeiten fertig zu werden.»
«Na typisch.»
Ruth mustert Max neugierig. «Kennst du ihn etwa?»
«Wir haben zusammen studiert.»
«Im Ernst?»
«Ja, wir hatten beide Geschichte in Sussex belegt.»
Ruth denkt an den weltgewandten Mann zurück, den sie hier auf der Baustelle kennengelernt hat. Es ist nicht leicht, ihn mit Max in Verbindung zu bringen, aber wenn man recht überlegt, sind sie vermutlich etwa gleich alt.
«Wieso leitet er denn dann ein Bauunternehmen?», fragt sie.
«Das ist das Familienunternehmen. Er hat immer schon gemeint, sein Vater würde darauf bestehen.»
«Hast du noch Kontakt zu ihm?»
Max schaut ein wenig verlegen. «Nur über Friends Reunited . Du weißt schon.»
Nach anfänglicher Begeisterung hat Ruth inzwischen eine tiefe Abneigung gegen Seiten wie Friends Reunited entwickelt. Mit den wenigen Leuten aus der Schul- und Studienzeit, die sie mag, steht sie ohnehin noch in Kontakt. Und je weniger die anderen von ihr wissen, desto besser.
«Komm», sagt sie zu Max. «Ich führe dich ein bisschen herum.»
Der Polier ist sichtlich entnervt, sich schon wieder mit Archäologen herumschlagen zu müssen, doch dann erlaubt er Ruth, Max über das Grundstück zu führen, solange sie «nicht im Weg umgehen». Doch als Ruth sich auf die Suche nach dem Grab unter der Türschwelle macht, muss sie feststellen, dass es verschwunden ist. Die schwarz-weißen Fliesen sind zerschlagen, der Boden darunter ist nur noch aufgewühlter Schlamm. Man sieht keine Wände oder Raumteiler mehr, nur noch ebenen, umgepflügten Baugrund.
Immerhin ist der Brunnen noch intakt. So weit sind die Bagger noch nicht vorgedrungen, obwohl sie immer näher kommen. Ruth sieht zu, wie sie mit ihren vollautomatischen Klauen dem Garten zu Leibe rücken, dem Gemüsebeet, dem Baum mit den Resten der Schaukel, dem Frühbeet. Schutt und Bodenresten landen in den Containern. Wer kann sagen, wie viele Kunstschätze hier noch zu finden gewesen wären, ob mittelalterlich, römisch oder viktorianisch? Jetzt sind sie alle zerstört, um fünfundsiebzig Luxusapartments Platz zu machen, jedes mit eigenem Bad.
Max geht in die Hocke, um den Brunnen zu betrachten. «Sieht nach römischer Bauart aus.»
«Das dachte ich auch», sagt Ruth. «Und in römischen Brunnen wurden doch auch schon Schädel gefunden, oder?»
«Hin und wieder», antwortet Max zögernd. «In Odell in Bedfordshire hat man einen römischen Schädel entdeckt, der mit Absicht in den Brunnenschacht integriert wurde. Eigentlich sind Kopfkulte aber eher etwas Keltisches. Und heilige Quellen waren vor allem im Mittelalter verbreitet. Die St.-Thomas-Quelle in Windleshaw soll beispielsweise an der Stelle entsprungen sein, wo ein Priester enthauptet wurde.»
Der Lärm der Baumaschinen erschwert das
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