Knochenjagd (German Edition)
lang hatte Edmonton die zweifelhafte Ehre, die Stadt mit der höchsten Mordrate in ganz Kanada zu sein. 2010 rutschte sie auf den dritten Platz. Während wir durch die dämmrigen, nachmitternächtlichen Straßen fuhren, fragte ich mich, ob dieser Abstieg die Bürger Edmontons dazu gebracht hatte, den offiziellen Spitznamen der Stadt infrage zu stellen: City of Champions, die Stadt der Sieger.
Auf dem Weg zum Paradise Resort sprachen wir über Susan Forex. Oder versuchten es wenigstens. Die meiste Zeit duellierten sich die beiden Gentlemen.
»Die hat uns nicht alles erzählt«, sagte Ryan.
»Ist es denn wahr? Warum sollte sie das tun?«
»Wahrscheinlich schreibt sie gerade ihre Memoiren. Und denkt, wenn vorher was bekannt wird, schadet das dem Verkauf.«
»Sie will sich nur selber nicht schaden«, sagte Ollie.
»Aber ist das wirklich so einfach?«, fragte ich.
»Soll heißen?«
Ich war mir nicht sicher und überlegte einen Augenblick. Aber es brachte nichts. »Susan Forex und Phoenix Miller haben beide versucht, Annaliese Ruben zu schützen«, sagte ich.
»Man muss ihre Mutterinstinkte bewundern.« Ryans Ton war ätzend wie Chlorsäure.
»Sogar Nutten hassen Babymörder.« Ollies Art der Zustimmung.
»Aber warum ihr dann helfen?«
Darauf hatten beide keine Antwort.
»Kannst du wirklich einen Durchsuchungsbeschluss für Forex’ Haus bekommen?«, fragte ich Ollie.
Er schüttelte den Kopf. »Kaum. Ich müsste einen Richter davon überzeugen, dass Ruben meiner Ansicht nach dort ist, dass sie Gegenstand einer Verbrechensermittlung in Quebec ist, dass sie flüchtig ist und dass wir nicht die Zeit haben, uns einen Haftbefehl aus Quebec zu besorgen.«
Phoenix Millers häusliches Paradies war ein zweistöckiges, L-förmiges Gebäude mit umlaufenden Außenstegen, die Zugang zu etwa dreißig Zimmern boten. Ein gigantisches Schild schrie Paradise Resort Motel in riesengroßen Buchstaben. Ein blinkender Pfeil wies potenziellen Gästen den Weg zu einem überdachten Säulenvorbau. Die Tür zum Büro unter dem Dach war flankiert von zwei Pflanzkübeln mit üppig toter Vegetation.
Ganz offensichtlich hielt die Anlage nichts, was der Name versprach. Höllische Bruchbude wäre passender gewesen. Vielleicht Die letzte Absteige.
Auf der Betonfläche vor dem Gebäude standen nur ein paar Pkws und Pick-ups. Links dahinter waren mehrere Wohn-mobile und ein Neunachser zu sehen.
Bei den meisten Motels würde man zögern, bevor man um ein Uhr nachts eine verdeckte Aktion startet. Das Paradise Resort gehörte nicht dazu. Das Büro dunkel. Kein Wachpersonal. Nirgendwo auch nur ein Mensch zu sehen.
Wir verstummten, als wir an dem L entlangfuhren. Zimmer vierzehn lag am Ende des Schenkels, der in etwa parallel zur Hundertelften verlief. Die Eingangstür war verdeckt durch eine Eisen-und Betontreppe, die ins Obergeschoss führte. Weder vor diesem noch dem angrenzenden Zimmer stand ein Auto.
Ollie schaltete das Licht aus, fuhr auf den Parkplatz vor Zimmer vierzehn und stellte den Motor ab. Wir stiegen aus und schlossen leise die Türen.
Aus einem mexikanischen Restaurant an einer kleinen Zufahrtsstraße etwa fünfzig Meter hinter dem Hotel drang Musik. Vom Highway 16 wehte Verkehrsrauschen herüber.
Im Gänsemarsch näherten wir uns Phoenix Millers Zimmer. Ollie stellte sich auf die eine Seite der Tür. Ryan postierte sich auf der anderen und bedeutete mir, hinter ihm zu bleiben.
Ich sah keinen gelben Schein unter der Tür oder dem Saum des Vorhangs, kein blaues Fernsehflackern.
Ollie klopfte einmal, um sich bemerkbar zu machen.
Keine Reaktion.
Er klopfte noch einmal.
Nicht das leiseste Geräusch.
Er hämmerte mit dem Handballen gegen die Tür.
Nichts als Mariachis und das Rauschen von Pkw s und Lastwagen.
Ryan trat vor die Tür und steckte den Schlüssel ins Schloss.
12
Im Zimmer war es dunkel und still.
Wir blieben kurz stehen und lauschten nach Anzeichen menschlicher Anwesenheit. Meine Nase registrierte Desinfektionsmittel und das Febreze-Raumspray, das ich zu Hause auch benutze.
Neben mir spürte ich Ryan die Wand abtasten. Ein Schalter klickte, dann strömte fahles Licht aus einer Lampenglocke an der Decke, die auch als Insektengrab fungierte.
Zimmer vierzehn war ungefähr so groß wie meine Badewanne. Die Wandfarbe war pfirsich, der dünne, braune Teppichboden fleckig und voller Brandlöcher.
Ich ließ den Blick im Uhrzeigersinn wandern. Links stand auf einer abgenutzten Kommode ein uralter Fernseher mit
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