Knochenjagd (German Edition)
und knallte die Tür zu.
Das Zimmer war so nordamerikanisch wie Ahornsirup. Doppelbett, Frisierkommode, Schreibtisch, gepolsterter Stuhl. Vorhänge und Bettbezüge trugen passend aufeinander abgestimmte Töne aus dem grünen Sektor des Farbspektrums. An jeder Wand hing ein gerahmter Druck. Auch wenn die Gestaltung nie zu einem Artikel im Architectural Digest inspirieren würde, war sie doch Lichtjahre vom Paradise Resort entfernt.
Was mich herzlich wenig interessierte. Gesicht waschen. Flüchtig die Zähne putzen. Dann war ich weg.
Minuten später weckte mich die irische Nationalhymne. Meine Hand schnellte zum Nachtkästchen. Mein iPhone fiel auf den Teppich, doch die Jungs sangen weiter.
Ich tastete im Dunkeln herum, fand das Handy und schaltete ein.
»Brennan.« Ich versuchte, wach zu klingen. Sinnlos. Es war mitten in der Nacht.
»Ich hab Sie doch hoffentlich nicht geweckt?« Eine Anruferin, die Französisch sprach. »Simone Annoux hier.«
Mein halbwaches Hirn brachte den Namen nirgendwo unter.
»Von der DNS -Abteilung.«
»Natürlich. Simone. Was gibt’s?«
Während ich auf Lautsprecher schaltete, fiel mein Blick auf den Wecker. 6:20. Zwanzig nach acht in Montreal. Ich hatte fast vier Stunden geschlafen. Ich lehnte mich zurück und legte mir das Handy auf die Brust.
»Sie haben uns doch Proben von einem Todesfall eines Kindes in Saint-Hyacinthe gegeben? Als wir darüber redeten, meinten Sie, dass die Rassenzugehörigkeit ein Problem wäre?«
Simone ist eine sehr zierliche Frau mit karottenroten Haaren, einer dicken Brille und dem Selbstbewusstsein eines Ohrwurms. Ihre extreme Furchtsamkeit führt dazu, dass sie fast jede Aussage als Frage formuliert. Macht mich wahnsinnig.
»Ja.«
»Wir haben etwas ausprobiert, das ein bisschen kontrovers ist? Ist das okay für Sie?«
»Kontrovers?«
»Ich dachte mir, Sie wollen es vielleicht wissen?«
»Was habt ihr ausprobiert, Simone?«
»Wissen Sie, was BGA ist?«
»Ben Gurion Airport?«
»Biogeografische Abstammung.«
»Tony Frudakis«, sagte ich.
»Ja. Und andere. Wobei ich glaube, dass Dr. Frudakis diese Forschungsrichtung aufgegeben hat?«
Am Anfang des neuen Jahrtausends wurden in Baton Rouge, Louisiana, mehrere Frauen ermordet. Ausgehend von einem FBI-Profil und der Aussage eines einzigen Augenzeugen suchten die Ermittler einen jungen Weißen als den Serienmörder. Ohne Erfolg. Frustriert wandten sie sich an einen Molekularbiologen namens Tony Frudakis.
Zu dieser Zeit wurde DNS von einem Tatort oder einem Opfer nur zum Abgleich mit Proben im CODIS , dem Combined DNA Index System verwendet, einer DNS -Datenbank, die ungefähr fünf Millionen Profile enthält. Wenn Ermittler eine Probe, aber keinen Verdächtigen hatten, konnten sie sie durch die Datenbank laufen lassen, um herauszufinden, ob sie zu abgespeicherten Personendaten passte.
CODIS ist zwar sehr nützlich, wenn man die Daten unbekannter Verdächtiger solchen Personen zuzuordnen will, die aufgrund früherer krimineller Aktivitäten bereits in der Datenbank sind, doch man kann damit keine Aussagen über Abstammung oder körperliche Merkmale treffen. Und das ist kein Zufall. Als das National DNA Advisory Board , also das Expertengremium für DNS -Fragen, die Gen-Marker für die Verwendung in CODIS auswählte – die DNS -Sequenzen, die bekannte Orte auf den Chromosomen haben –, schloss es ganz bewusst jene aus, die Rückschlüsse auf körperliche Merkmale oder geografische Herkunft zulassen. Man konnte es nicht riskieren, irgendeiner ethnischen Gruppe zu nahe zu treten. Kein Kommentar zu dieser politischen Argumentation.
DNA Witness , der Test, den Frudakis entwickelte und im Ba-ton-Rouge-Fall anwendete, benutzte eine Reihe von Markern, die genau deshalb ausgewählt worden waren, weil sie Informationen über körperliche Merkmale lieferten. Einige fanden sich vorwiegend in Personen mit indoeuropäischen Wurzeln, andere vorwiegend in solchen von afrikanischer, indigen amerikanischer oder südasiatischer Abstammung.
Frudakis sagte der ermittelnden Sondereinheit, dass der Täter, den sie suchten, zu fünfundachtzig Prozent subsahara-afrikanisch und zu fünfzehn Prozent indigen amerikanisch war. Der Serienmörder von Baton Rouge, der über DNS -Spuren mit sieben Opfern in Verbindung gebracht werden konnte, erwies sich als dreiundvierzigjähriger Schwarzer mit dem Namen Derrick Todd Lee.
»– Verteilung dieser Gen-Marker wurde in Verbindung gebracht mit weit gefassten geografischen
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