Knochenjagd (German Edition)

hieß, dass ich auf der Hauptstraße nun drei Menschen sehen konnte.
    Vor dem A&W -Restaurant unterbrachen zwei Männer, deren Gesichter unter ihren Parkakapuzen kaum zu erkennen waren, ihr Gespräch, um mir nachzuschauen. Vor dem Kentucky Fried Chicken kam ich an einem Jungen in rotem Trainingsanzug, schwarzer Fleeceweste und orangefarbener Mütze vorbei, der ein gelbes Skateboard unter dem Arm trug. Beide Male lächelte ich und sagte guten Morgen. Beide Male erhielt ich nur unfreundliche Blicke.
    Na gut.
    Irgendwo hinter der Forty-Fourth Street wurde aus der Fiftieth Avenue die Franklin. Eben wie in Charlotte. Im Vorüberlaufen prägte ich mir die Straßennamen und die Abzweigungen ein, die ich nahm.
    Einige Blocks hinter der School Draw Avenue bog Nellie nach rechts auf die Hamilton ein und dann noch einmal auf einen Kiesweg. Auf einem Schild an einem Felsbrocken stand Ragged Ass Avenue. Einen solchen Namen würde man in der Queen City nie finden.
    Nellie trottete die Ragged Ass hoch, offensichtlich hatte sie immer noch nicht bemerkt, dass ich ihr folgte. Ich blieb kurz an der Einmündung stehen, weil ich Angst hatte, dass meine Schritte auf dem Kies mich verraten würden. Unauffällig nach links und rechts blickend, schaute ich mir die Umgebung an. Die Sonne stand jetzt schon höher und brannte den Nebel weg. Details wurden klarer.
    Ein Wohnviertel mit braunen Rasenflächen bis zur Straße und tief hängenden Versorgungsleitungen. Ich roch fischiges Wasser und brackigen Schlamm und spürte in der Nähe einen See.
    Der architektonische Tenor des Viertels war nördlicher Eintopf. Die neueren Häuser wirkten wie aus Fertigteilen aus dem Katalog zusammengebastelt. Außenverkleidungen aus Aluminium. Vorgefertigte Fenster. Läden und Türen im Pseudokolonialstil.
    Die älteren Gebäude ähnelten Hütten in einem Hippie-Sommerlager. Holzhäuser aus unbehandelten Balken, geschmückt mit Wandmalereien oder Szenen aus der Natur. Fallrohre und Rauchabzüge aus Metall. Windrädchen, Plastiktiere oder Keramikzwerge in Gärten oder auf Zäunen.
    Jedes Haus hatte mindestens ein Außengebäude, einen verrosteten Tank und einen Stapel Feuerholz. Und, wie ich vermutete, Bewohner, die Fremden gegenüber eher feindselig eingestellt waren.
    Hunde? Ich verdrängte den beunruhigenden Gedanken.
    Als Straße machte die Ragged Ass nicht viel her. Nur zwei Blocks lang. Ohne sich ein einziges Mal umzuschauen, ging Nellie bis zum hinteren Ende und eine Kieseinfahrt hoch und betrat dann ein Haus, dessen Bewohner in der Sommerlagerbewegung tief verwurzelt sein mussten.
    Ohne den frühmorgendlichen Eindringling zu bemerken oder zu beachten, döste die Ragged Ass vor sich hin.
    Die Haut kribbelnd vor Kälte und Angst, schlich ich weiter.
    Kein Rottweiler bellte. Kein Pitbull sprang mich an.
    Na also. Ich ermittelte.
    Das Haus, das Nellie betreten hatte, war kaum mehr als eine Holzhütte mit einer Innenfläche von vielleicht achtzig Quadratmetern. Reflektierende, an die Fassade genagelte Ziffern verkündeten die Adresse 7243.
    Ein schlampig aus Holz und Plastik zusammengebasteltes Gewächshaus lehnte an einer Wand des Hauses, ein windschiefes Vordach ragte von der anderen ab. Unter dem Vordach standen ein Tisch und Stühle aus Plastik und ein verrosteter Holzkohlengrill.
    Weder auf der kurzen Einfahrt noch im Carport stand ein Fahrzeug.
    Und jetzt?
    Bis hierher hatte Warten ganz gut geholfen. Ich beschloss, es noch ein bisschen länger zu tun.
    Ich benutzte einen kleinen Schuppen auf der anderen Seite als Unterstand und beobachtete von dort aus die Straße.
    Wie schon auf der Fiftieth bewegte sich auch hier die Zeit mit der Geschwindigkeit eines Gletschers.
    Ich schaltete mein Handydisplay an. Zehn vor acht. Keine Voicemail, keine SMS .
    Ich rief Ryan an und nannte ihm meinen neuesten Aufenthaltsort.
    Was das Klima anging, hatte sich meine Lage eher verschlechtert. Die Sonne hatte zwar den Nebel vertrieben und die Temperatur minimal erhöht, jetzt aber trug eine stetige Brise die Feuchtigkeit von dem unsichtbaren Gewässer herüber.
    Ich schlang die Arme um den Oberkörper und steckte die Hände unter die Achseln. Mein Atem wollte sich nur widerwillig vom Dampf verabschieden.
    Eine Ewigkeit lang ging die einzige Aktivität von zwei Raben aus, die sich um die besten Plätze auf den Leitungen über mir stritten. Dann wurde eine Tür zugeknallt, und ein Motor sprang an.
    Ich riss den Kopf nach links. Dreißig Meter weiter nördlich stieß ein roter